Die Anreize des Firmenlebens

 Die Anreize des Firmenlebens

Mein Vorgesetzter war ein Nerd. Er war 45 Jahre alt und kam aus Norddeutschland. Er konnte zwar sein BWL-Studium nicht abschließen, aber er widmete sich seinem Hobby und baute eine OnlineHandelsagentur auf. 
Viele erfolgreiche Unternehmer können keine akademische Laufbahn nachweisen. Der freie Unternehmergeist passte einfach nicht in die ausgedienten, theoretischen Universitätsstrukturen. Er war ein lebendiges Beispiel dafür. Er verkaufte so viel online, dass er sich bald die Exklusivität für den deutschen Markt von sieben polnischen Fabriken sicherte und mich einsetzte, um die Produkte dieser Produzenten offline, also im Großhandel, zu vermarkten.
In der Firma gab es außer ihm drei Angestellte. Ein magerer Pole machte den Einkauf. Eine vollbusige Russin kümmerte sich um die Kundenhotline und ein sensibler deutscher Gay war für die Logistik zuständig. Seine Aufgabe war es, für die Ordnung im Lager zu sorgen, und ich hatte das Gefühl, dass er dadurch Ordnung in seinen Kopf bringen wollte.Das Büro bestand aus einem großen Arbeitszimmer, in dem die Schreibtische aller Mitarbeiter standen, und aus einem kleineren Lagerraum, in dem die Ware ihren Platz auf vierstufigen Metallregalen fand. Im Arbeitszimmer gab es nur zwei kleine verstaubte Fenster. Auch bei Sonnenschein kam nur wenig Tageslicht ins Zimmer hinein und die Neonlampen waren die ganze Zeit eingeschaltet. 
Meine Aufgabe war nicht einfach. Da der Chef gerne Kuchen aß, versuchte ich auf eine plausible Weise, ihm meine Ansicht über die Konjunktur näher zu bringen.
Der deutsche Markt ist wie ein Kuchen, der längst unter den Großen verteilt ist, und die Kleinen, die sich da aufdrängen, müssen viel Zeit und ein gutes Budget für Werbung mitbringen, um reinzukommen!”
Er war aber davon überzeugt, dass wenn sich die Produkte online gut verkaufen ließen, sie auch in den Läden schnell ihren Platz finden mussten.Was mir an diesem Job gefiel war die familiäre Atmosphäre und die Tatsache, dass ich freitags nicht arbeiten musste. Alle Mitarbeiter waren nette Leute, mit denen ich gerne in der Mittagspause plauderte, aber nicht unbedingt meine Freizeit verbringen wollte.Wir hatten eine Kaffeemaschine. Daneben stand eine Kaffeekasse. Wir mussten einzahlen, um Kaffee trinken zu können.
Warum kaufst Du nicht einmal pro Woche Obst? Das würde die Krankschreibungen reduzieren und einen zusätzlichen Anreiz für eine stärkere Arbeitseffizienz darstellen”, schlug ich einmal dem Nerd vor.Es dauerte 2 Monate bis er einwilligte. Meistens kaufte ich Äpfel und Orangen ein und er aß sie mit einem sichtbaren Genuss.
Es war die Zeit, als er ein Vorstellungsgespräch mit einem anderen Nerd führte. Der Chef wollte seine Work-Life-Balance verbessern und einen Teil seiner Aufgaben delegieren. Der andere Nerd war Anfang 30. Er hatte gerade seine Doktorarbeit in Informatik abgeschlossen und wollte ins Berufsleben einsteigen. Die Stellenausschreibung hieß Content Manager”. Es ging darum, die Produktbeschreibung und die Fotos auf dem virtuellen Marktplatz von Amazon richtig zu platzieren.
So, ich gehe jetzt Obst kaufen – spezielle Wünsche?”, fragte ich in die Runde. Wir saßen alle im Raum, der mit einem riesigen Spiegel an der Wand die Illusion schaffte, dass es sich um eine große Fläche handelte. In der Tat waren es nicht mehr als 40 mund vollgestopft mit Paketen. Die Luft roch nach Staub.
Der Doktorand schaute durch seine Brille mit schwarzem Rahmen mit einem fragenden Blick. Er hatte einen kurzen Haarschnitt und war glattrasiert. Sein weißes Hemd war bestimmt von seiner Mutter vor dem Jobinterview gebügelt worden.
Bei uns gibt es einmal wöchentlich Obst und einmal im Monat Wodka und Kaviar!”, scherzte ich.
Wodka und Kavier gehen aber auf ihn”, fügte der Chef mit einem Lächeln hinzu und zeigte auf mich. Er trug meistens atmungsaktive T-Shirts, die von einem der polnischen Partner hergestellt wurden.
Kannst du mir einen ehrlichen Mann mitbringen?", meldete sich die russische Mitarbeiterin, die gut in einem Film für Desperate Housewives die Hauptrolle spielen konnte. Sie hatte zwei Kinder und suchte dringend nach einem Vaterersatz.
Ich könnte höchstens den Mann an der Kasse bei Lidl fragen, aber dieses Adjektiv – ehrlich – macht die Suche schwierig.Wieso?”, fragte sie.Ehrliche Männer sind Mangelware!”, mischte sich der schwule Kollege mit einem femininen Seufzer ein. 
VOR LAUTER BÄUMEN KANN SIE DEN WALD NICHT MEHR SEHEN!”, tippte der polnische Kollege mit Großbuchstaben auf seinem Bildschirm ein und drehte ihn in meine Richtung, sodass ich den Satz lesen konnte. Von seinem blassen langen Gesicht konnte man seine Enttäuschung ablesen.Und insbesondere eine knackige und hübsche polnische Eiche darf nicht übersehen werden!”, flüsterte ich in sein Ohr. Ich wusste, dass er romantische Gefühle der Russin gegenüber pflegte und Angst davor hatte, dass sie nicht erwidert werden würden.
Was redet ihr so heimlich miteinander?”, fragte der Chef-Nerd laut.Wir reden über die Anreize des Firmenlebens", erwiderte ich.

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