Rassismus in Deutschland aus dem Blickwinkel eines Weihnachtsmannes

Rassismus in Deutschland aus dem Blickwinkel eines Weihnachtsmannes


                                                Bild @milen lichkov


„Sie haben aber nichts dagegen, dass mein Mann farbig ist?“ fragte mich die Frauenstimme am Telefon.


Ich war eben dabei, meine Aufträge als Santa abzuarbeiten und telefonierte mit allen Familien auf meiner Liste durch. Das Ziel der Telefonate war, mehr über die Kinder zu erfahren. Ihre Namen, die Namen ihrer besten Freunde, ihr Lieblingsfach in der Schule, ob sie Haustiere haben, aber niemand hat mir bis jetzt so eine Frage gestellt.


 Ich dachte kurz nach und antwortete:


„Der Weihnachtsmann freut sich doch auf Menschen mit unterschiedlichen Hautfarben!“ 

Schließlich stellte ich als Bulgare auch eine seltsame Mischung aus Orient und Okzident dar.


Als ich am Heiligen Abend auf dem Weg zu dieser Familie war, dachte ich mir, was diese Menschen alles bereits erlebt haben mussten, um dem Weihnachtsmann so eine Frage zu stellen. 


Das Leben in Deutschland als Bulgare war schon nicht einfach, geschweige denn, wenn man eine schwarze Hautfarbe hatte. Ich erinnerte mich daran, wie ich mich mit einem afrikanischen Kommilitonen, der auch als Weihnachtsmann tätig war, darüber unterhielten. Rudi kam aus Mosambique und teilte meine Meinung, dass man am Tag, als wir als Weihnachtsmänner durch die Häuser zogen, mehr Aufmerksamkeit und Anerkennung in Deutschland genossen, als das ganze Jahr davor insgesamt. Ich redete mit ihm darüber, wie ich die fette Gage von guten 500 Euro ausgeben würde. Ich offenbarte ihm, dass ich zur Jahreswende immer eine neue Destination suche, um das neue Jahr mit etwas Neues zu beginnen. Rudi sagte, dass er sich zum Jahresbeginn immer fein anzog und zum KaDeWe ging.

„Nutzt du das Shopping, um den Stress zu bewältigen und Glückshormone zu erzeugen?“, fragte ich nach. Ich habe eine Studie gelesen, dass Einkaufen solche beruhigende Wirkung auf die menschliche Psyche haben könnte.

„Nein-nein mein Freund", lachte er so gelassen.

„So viel Geld verdienen wir als Weihnachtsmänner doch nicht, um in diesen teuren Warenhäusern einkaufen zu gehen“, antwortete er und fügte mit stolzer Stimme hinzu: 

„Dort lasse ich mir zum Jahresanfang die Schuhe ordentlich putzen!“ 

„Spinnst du Rudi? Das kannst du auch zuhause oder in Neukölln zum viel besseren Preis machen!“

„Es geht mir nicht um den Preis, Veso! Einmal im Jahr gönne ich mir eine kleine Revanche für das, was ich in Deutschland im Alltag als Afrikaner einstecken muss:  Im KaDeWe werden meine Schuhe von einem weißen, blonden, deutschen Mann geputzt, der auch für seine Mühe auch ordentlich Trinkgeld von mir kriegt!“


Solche Erinnerungen beschäftigten mich auf dem Weg zur Familie mit dem farbigen Vater.  Ihre Wohnung war klein und gemütlich. Die Kinder hatten einen winzigen Weihnachtsbaum schön geschmückt und für den Weihnachtsmann fröhliche Lieder vorbereitet. Der Junge war 5, seine Schwester war 7 Jahre alt. Der Junge spielte Geige und die Schwester sang dazu Weihnachtslieder. Das Mädchen hatte ein weißes Hemd und einen dunklen Rock an und ihr Bruder trug sogar eine Fliege über seinem hellblauen Hemd. Beide hatten dunkle, lockige Haare und große braune Augen. Die Mutter – eine angenehm gerundete, vollbusige Frau mit langen, glatten, schwarzen Haaren und im weißen, langen Kleid - sah wie ein Schneewittchen aus und schaute den Auftritt ihrer Kinder mit glänzenden Augen an. Sie sang leise mit. Man merkte, dass sie lange davor mit ihnen geübt hatte. Der farbige Vater saß still auf einem roten Coach im Hintergrund und beobachtete das Geschehen. Er trug eine dicke, goldene Halskette am Hals und sah so aus, als ob er täglich Krafttraining machen würde. Ein Muskelpack. Ich dachte mir, dass mich seine Ehefrau mit ihrer Frage vielleicht einfach nur auf ihren Mann aufmerksam machen wollte. Als die Kinder mit ihrem Programm fertig waren, entschied ich mich dafür, auch ihm ein wenig Aufmerksamkeit zu schenken.


„So mein liebes Kind! Nachdem wir das Konzert von dem kleinen Prinz und der schönen Prinzessin gehört haben, möchte der Weihnachtsmann sehen, was du so für den Heiligen Abend vorbereitet hast?“, wandte ich mich an ihn.


Zuerst merkte der schwarze Mann gar nicht, dass ich ihn gemeint hatte. Er schwieg und rührte sich nicht. Im Raum war es still. Man hörte nur das Geräusch brennender Kerzen. Ich erhöhte meine Stimme:

„Mein liebes Kind! Schön und gut, dass Du so still und bequem auf dem Sofa sitzt. Aber jetzt möchte der Weihnachtsmann  von dir hören, was Du für ihn vorbereitet hast. Ein schönes Lied vielleicht oder ein Weihnachtsmärchen? Du kannst da ruhig sitzen bleiben. Der Weihnachtsmann hört Dir zu.“

Es kam wieder keine Reaktion. Der Mann saß  und schwieg. Im Raum herrschte wieder Stille. War er taub? Dann hätte mir seine Frau bestimmt gesagt oder war er zu schüchtern oder zu überrascht, so eine Aufgabe vom Weihnachtsmann gestellt zu bekommen? Oder fühlte er sich provoziert und wusste nicht, wie er darauf reagieren sollte?

„Mein Papa spricht kein Deutsch!“ mischte sich sein Sohn ein.

„Santa is waiting for your Christmas Song, Daddy!” kam seine Tochter mir zu Hilfe.

Der Mann lächelte, als ob er darauf gewartet hätte und legte mit voller Stimme los. In den folgenden 10 Minuten fühlte ich mich wie beim Gospelkonzert in einer Kirche. Er sang energiegeladene, christliche Lieder und pries Jesus über alles, was er in seinem Leben hatte. Mit seinem Gesang drückte er seine Dankbarkeit aus, dass Jesus an diesem Tag auf die Welt gekommen war. Seine Frau hätte besser mich nicht fragen müssen, ob ich etwas dagegen hätte, dass Ihr Mann eine andere Hautfarbe hätte, sondern dass er so ein begnadeter Sänger war und vor allem mich warnen müssen, dass er kein Deutsch konnte. Wie unsere Fragen unsere Gedankengänge lenkten und umgekehrt!  Ich bemühte mich, meine Gedanken zu beruhigen und genoss den Enthusiasmus, mit dem der Vater sang. Bei so vielen christlichen deutschen Familien, die ich an diesem Abend besuchte, hatte ein afrikanischer  Mann zum ersten Mal den Namen Jesus erwähnt und Santa daran erinnert, warum wir Weihnachten feierten.


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