Lothar Matthäus
Lothar
Matthäus
Aus
der Sicht eines Schmetterlings war es, dass Lothar als Trainer für
die bulgarische Nationalmannschaft tätig wurde, eine gute
Entscheidung. Schließlich kam es seiner Meinung nach im Leben darauf
an, neue Erfahrungen zu sammeln und seine Kenntnisse mit anderen zu
teilen. Der bulgarische Premierminister Boyko Borissov teilte dieser
Meinung nicht und spottete in aller Öffentlichkeit:
"Ich
weiß nicht genau, was Lothar in Bulgarien zu suchen hat. Höchstens
findet er eine neue Frau zu heiraten."
Die
deutsche Fußballlegende ließ sich nicht von solchen Kommentaren
durcheinanderbringen und zog nach Sofia um. Er musste sich in der
neuen Umgebung zu Recht finden und auf seinen neuen Job
konzentrieren.
Er
dachte, dass er mit der Mentalität auf dem Balkan vertraut war.
Schließlich hatte er davor die serbische Mannschaft „Partizan
Belgrad“ trainiert und mit einer serbischen Frau fünf Jahre lang
den Bund für das Leben geschlossen.
Oft
trank er einen Kaffee, sonntags, in einem der angesagten Caféhäuser
im Zentrum von Sofia. Das Cafe war in einem alten, gelbfarbigen
Barockhaus unterbracht. Das Haus hatte riesige Fenster mit
Holzrahmen. Man konnte auf der Terrasse sitzen und die 2000 hohen,
grünen Berge von Vitoscha Gebirge genießen. Junge Kellner mit
weißen Hemden und dunkelroten Fliegen bedienten zügig die
vermögende und möchte-gerne vermögende Kundschaft. Aus der Sicht
eines Schmetterlings ähnelten sie fleißigen Wespen, die sich um
fettleibige Käfer und ihre graziösen, weiblichen Bienenbegleitungen
kümmerten. Der Aufmerksamkeit der mehr oder weniger betuchten Käfer
galt aber weder ihren graziösen Bienen noch der grandiosen
Bergkulisse, sondern den schicken, sportlichen, vor dem Cafe
parkenden Wagen und daraus austeigenden Sinnesgenossen.
Dort
traf Lothar auf Peter.
Peter
war arbeitslos und wohnte noch bei seinen Eltern. Das war in
Bulgarien normal. Meistens zog der Mann aus dem Elternhaus, wenn
überhaupt, nach der Hochzeit aus. So brauchte er kein Geld für
Miete oder Essen auszugeben. Das Arbeitslosengeld, was er bekam,
erlaubte ihm nicht, in teuren Restaurants zu speisen, aber einen
Espresso in einem der populärsten Caféhäuser der Stadt konnte er
sich gönnen. Peter konnte Deutsch, da er das deutsche Gymnasium der
Stadt Sofia abgeschlossen hatte. Er liebte deutsche Autos und
deutsche Topmodels. Ein großes Poster der silbernen S-Klasse mit
Claudia Schiffer in goldenen Bikini war über seinem Bett zu sehen.
Ein anderes Bild, auf dem Heidi Klum im Glitzerkleid aus einem
schwarzen Porsche 911 ausstieg, hing an der Wand über seinem
Schreibtisch.
Peter
beobachtete seit langem, dass ausländische Prominente das Caféhaus
besuchten. Einige Hollywood-Größen wie Jean Claude van Damme, die
in Bulgarien ihre Filme drehten, und Fußballtrainer wie Lothar
Matthäus gehörten dazu.
Eines
Tages sprach er Lothar an:
„Herr
Matthäus, dürfte ich Sie um einen Gefallen bitten?"
Lothar
schaute ihn skeptisch an. Peter trug ein weißes La Costa T-Shirt und
Jeans an. Seine dunklen, kurzen Haare waren ordentlich gekämmt und
sein rundes Gesicht hatte einen Dreitagebart. Peter roch nach einem
Duft, dem Lothar unbekannt war. Lothar kannte die kulturellen
Gegebenheiten in Bulgarien noch nicht und wusste, dass er im Zentrum
der Aufmerksamkeit stand und vorsichtig mit den Menschen sein sollte.
Gleichzeitig wollte er nicht unfreundlich wirken und sich einen Namen
als arroganter Mensch machen. Deswegen fragte er zurück:
„Kommt
darauf an! Was für einen?"
„Morgen
habe ich ein Date um diese Zeit. Darf ich Sie bitten, wenn Sie um
diese Zeit hier sind und mich sehen, mich kurz zu grüßen?"
Lothar
kannte das Spiel des Egos. Er wusste, dass sich viele Frauen von der
Bekanntheit der Männer blenden lassen und ein solcher Gruß die
Wahrscheinlichkeit erhöhen würde, dass dieser Mann gute Karten bei
seinem Date bekommt.
„Kein
Problem!", antwortete er.
Diesen
Mann zu grüßen kostete ihn weder Zeit noch Geld.
Am
nächsten Tag saß Peter mit einer bulgarischen Schönheit im Café,
als Lothar Matthäus hineinkam und ihn wie vereinbart freundlich
grüßte. Zu seiner Überraschung erwiderte Peter seinen Gruß nicht
so richtig, sondern schaute ihn grimmig an und sagte in lauter
Tonlage:
„Wie
oft muss ich mich wiederholen, Du Penner, wenn ich mit jemandem in
einer Besprechung bin, nicht zu stören!"
Das
machte Peter auf Bulgarisch und setzte sein Gespräch mit der
Schönheit fort, als ob Matthäus nie existiert hätte.
Lothar
sprach kein Bulgarisch. Er wusste nicht, warum Peter so reagierte und
wieso er auf Bulgarisch und nicht auf Deutsch zu ihm redete.
Schließlich
hatte er das getan, was von ihm verlangt wurde. Lothar ging darauf
nicht ein. Schließlich hatte er dem Typ einen Gefallen getan und
damit sein gutes Niveau gezeigt.
Er
dachte, dass die Bulgaren ein komisches Volk wären, dessen
Mentalität er nicht so richtig verstand. Sie nickten für „ja“
und „nein“ andersherum, als es im Rest der Welt übrig war und
schrien einen an, wenn man ihnen einen Gefallen erwies.
Ein
Jahr später wurde er als Trainer der Nationalmannschaft entlassen.
Bulgarien hatte den letzten Platz in der Qualifikationsgruppe belegt
und Lothar musste gehen.
Bei
Peter ging es bergauf. Die Schönheit war so beeindruckt von der
Szene mit Matthäus, dass sie sich in Peter verliebte. Beide
heirateten und leben bis heute glücklich in einem schönen Haus am
Rande von Sofia. Sie haben drei Kinder. Peter bestand darauf, seinen
ersten Sohn Lothar zu nennen. Aus der Sicht seiner Frau war das
komisch. Aus der Sicht eines Schmetterlings war es ein Ausdruck der
Dankbarkeit und deswegen eine gelungene Aktion.
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