Die Sauna am Hermann Platz


Die Sauna am Hermann Platz

Es war einer dieser Sonntage im November, an dem man am besten im Bett bleiben sollte. Grau und regnerisch.
Es machte aber keinen Spaß so lange im Bett zu bleiben. Besonders, wenn man dort alleine war.

So entschied ich mich, in die Sauna zu gehen. Ich hatte noch zwei Gutscheine für „Holmes Place“ und lud meinen Freund Bobi ein. Wir nahmen die U-Bahn und fuhren hin.
„Holmes Place“ war eine Kette von Fitnessstudios, die über schöne SPA-Bereiche verfügte. So waren wir voller Hoffnung, dass wir einen erholsamen Sonntag mit netten Gesprächen in den heißen Räumlichkeiten verbringen würden.
Die Realität war anders: 

Als wir ankamen und das Anmeldeformular ausfüllten, verlangte der Junge an der Rezeption 2 Euro pro Saunatuch. Wir zahlten, gingen in die Umkleide, zogen uns aus und betraten den SPA-Bereich.
Der Sauna-Bereich bestand aus einem Dampfbad und einer finnischen Sauna. Er war voll mit Menschen. Mein Freund entschied sich, nicht hineinzugehen und stattdessen im Fitnessraum zu trainieren. Ich blieb dort, schließlich hatten wir deswegen den ganzen Weg gemacht. Es gab kaum noch Platz, um sich zu setzen. Zu 80% waren es Männer, die herumstanden oder saßen. Die meisten Besucher waren dunkelhaarig. Ich zählte dazu.

In fünf Minuten sollte ein Aufguss stattfinden, und alle warteten darauf. Ich ging zuerst duschen und erblickte eine kleine, blonde Frau in der Duschkabine neben mir. Sie hatte viele Tattoos. Es war ungewohnt für mich, einer nackten Frau so nahe zu sein, die ich gar nicht kannte. Mir fiel auf, dass sie Piercings an ihren Brustwarzen hatte. Ihre nackte Präsenz wirkte auf mich nicht erotisch. Im Gegenteil, es gab etwas an dieser Frau, was mich eher abschreckte. Sie hatte etwas Hartes in ihrer Ausstrahlung.
Ich duschte mich schnell, ohne sie weiter anzuschauen und ging in die Sauna hinein. Auf 15qm Raum gab es fast 20 Leute, die auf zwei Ebenen eng nebeneinander saßen. 
Alle waren nackt. Schließlich war nackt zu sein die Bedingung, um in die Sauna in Deutschland zu gelangen. Oft diskutierte ich mit Freunden darüber, ob die Deutschen durch Zurschaustellung der Nacktheit ihrer Körper in der Sauna ihre Zurückhaltung beim Ausdruck ihrer Gefühle im Alltag kompensieren wollten.
Ich war froh, in der unteren Ebene einen Platz zwischen zwei Türken zu finden und schaute mich um:

Im Raum gab es nur zwei Frauen. Die eine war die blonde mit den Piercings an den Brustwarzen und das andere Mädchen hatte lange, rote Haare. Ihr Saunatuch hatte sie sich um den Körper geschlungen. 

„Kein Hautkontakt mit dem Hooooolz!“, schrie die Blondine das rothaarige Mädchen an. Ihre nackten Füße berührten in der Tat das Holz, doch es kam zu keiner Reaktion ihrerseits. Ich dachte, dass das Mädchen möglicherweise kein Deutsch verstand.
Als die Blondine die Anordnung in Befehlston wiederholte, bewegte sich ein Türke neben dem rothaarigen Mädchen und schob sein Handtuch unter seine Füße.
Ich dachte zuerst, dass die Blondine den Saunaaufguss geben würde, da sie sich wie eine Chefin aufführte. Doch ich täuschte mich: Ein großer, dunkelhäutiger, gut gebauter Mann mit Glatze kam mit zwei Eimern voll Wasser in die Sauna hinein. Er stellte die Eimer neben den Saunaofen, schaute das Publikum an und erklärte mit tiefer, lauter und selbstbewusster Stimme:

„Jetzt kommt der Sahara-Aufguss. SAHARA wird dabei groß geschrieben. Zuerst ein wenig Sand aus der Wüste...“

Er schien einen arabischen Akzent zu haben. Es gab viele Geräusche, die aus der Tiefe seiner Kehle kamen, und die für Europäer und Türken unüblich waren. Er streute sorgfältig vom weißen Pulver aus einer kleinen Glasflasche auf die heißen Steine im Saunaofen. Im Raum war es stickig und eng. Ich musste meine Beine übereinanderschlagen, um sitzen bleiben zu können.

„Wie ging es den Menschen um mich herum?“, fragte ich mich und schaute mich um. Mein Nachbar rechts hatte einen großen Bauch und atmete schwer. Mein Nachbar links war der Kavalier, der dem rothaarigen Mädchen mit dem Tuch geholfen hatte. Er hielt seinen Kopf in seinen Händen und sah so aus, als ob er kurz davor war, ohnmächtig zu werden.
Das Salz schmolz schnell und ein beißender Duft erfüllte den kleinen Raum. Ich musste meine Augen schließen.
Plötzlich spürte ich eine nasse Männerhand, die zärtlich meine rechte Schulter berührte. Sie kam von hinten. Solange sie auf meiner Schulter und nicht an meinem Hintern war, war ich bereit, sie zu akzeptieren. Doch ich drehte mich sicherheitshalber um.

 „Paardooon“, hörte ich eine feminine Männerstimme von hinten. Ein schlanker, blonder Mann konnte es nicht mehr aushalten und machte sich den Weg nach draußen frei. Er überflog mich mit dem Geschick eines Balletttänzers, um von der zweiten Ebene zur ersten zu gelangen. Als er graziös am Boden landete, stellte sich der große Araber demonstrativ vor ihn und versperrte ihm den Weg nach draußen.

„Ich habe gesagt, dass ihr Bescheid geben müsst, bevor ihr die Sauna verlässt“, sagte er mit Befehlston. Er hätte gut der Freund der Frau mit den Piercings an den Brustwarzen sein können. Die beiden passten zueinander. Ich kam mir wie in einer Schule vor. Ich mochte es nicht von Unbekannten eines Besseren belehrt zu werden. Obwohl ich das in Berlin öfters erlebte, empfand ich es immer noch als sehr unhöflich.
Der blonde Mann war aber offensichtlich darin geübt, mit solchen Situationen zurecht zu kommen. Er umkreiste den großen Araber flink, öffnete schnell die Saunatür  und gelangte mit Leichtigkeit in die Freiheit. Ich schloss die Augen und versuchte, mich auf meine Atmung zu konzentrieren. Ich wollte es gerne bis zum Ende aushalten. Ein Saunaaufguss sollte nicht länger als 5-10 Minuten dauern und das Immunsystem stärken.

„Jetzt kommt Honig mit Eukalyptus“, kündigte der große Mann an und goss eine Flüssigkeit über die heißen Steine. Der Gestank, der sich breitmachte, hatte leider weder viel mit Honig noch mit Eukalyptus zu tun. Es roch, als ob eine Mischung aus Pferdekot und Urin auf die Steine gestreut worden war. Ich hatte Tränen in den Augen. Mit meiner rechten Hand drückte ich meine Nase zu.

Das rothaarige Mädchen hielt es offensichtlich nicht mehr aus. Sie war offensichtlich neu in Deutschland und konnte sich nicht so schnell wie die übrigen Saunainsassen an die unbekannte Situation gewöhnen. Sie stand auf und ging hinaus.

„Das ist zum Kotzen“, kommentierte die Blondine mit den Tattoos ihr Verhalten mit lauter Stimme. Sie hatte bestimmt etwas gegen Frauen, die keine Piercings an ihren Brustwarzen hatten.
Meine Augen waren geschlossen. Mit einer Hand hielt ich mir weiter die Nase zu. Ich überlegte, ob ich stattdessen nicht lieber die Ohren halten sollte. Dieser Sauna-Besuch war eine Herausforderung für alle Sinne.
In diesem Moment nahm der große Araber ein riesiges, weißes Tuch und schrie mit entschlossener Stimme in der Luft:

„Jetzt kommt die Nummer des Helikopters in der Saharaaaa.“
In der Tat wirbelte er  wie ein Wilder mit dem Tuch in der Luft, als ob er einen Helikopter nachmachen wollte. Heiße, stinkende Wellen durchfluteten den Raum und brachten mich zur Verzweiflung. Ich fühle mich so, als ob ich auf einer Toilette festsitzen müsste, die keine Spülung hatte und jahrelang nicht gereinigt worden war. Und das bei 90°C! Dieser Aufguss sollte nicht Sahara-Aufguss, sondern „Stuhlgang in der Sahara“ heißen. Offensichtlich war ich mit dieser  Meinung nicht allein. Der Türke neben mir gab ein tiefes, aber robustes Geräusch von sich hin. Es hörte sich an wie das Geräusch eines verärgerten Bären.

„HMMMMMMMMMM“

Dann richtete er sich langsam, aber fest entschlossen auf und wollte gehen. Er stand vor seinem Peiniger und schaute ihm fest in die Augen. Der Araber machte die Drehungen bis zum Ende, ohne den Türken aus den Augen zu verlieren. Er spürte, dass der kleine Mann zu allem fähig war und nicht nachgeben würde. Dann öffnete er widerwillig mit einem Seufzer die Tür. Ich nutzte die Chance und sprang mit der Schnelligkeit einer Katze dem kleinen, türkischen Bären hinterher, aus der überfüllten Sauna heraus. 

Was für ein Vergnügen war es, frei ein- und ausatmen zu können! Es fühlte sich herrlich an, die Sahara zu verlassen und wieder in Freiheit zu sein.
Es dauerte einige Minuten, bis ich wieder zu mir gekommen war. Als ich durch die Glasfenster in die Sauna hineinschaute, sah ich den Araber mit einer riesigen Feder und einer eisernen Miene die Luft in der Sauna durcheinanderwirbeln. Unsere Blicke trafen sich für eine Sekunde. Er schaute mich mit einer Mischung aus Verachtung und Sarkasmus an.

Sein Blick vermittelte mir klar seine Botschaft:

Der Sahara-Aufguss am Hermannplatz war nicht für Weicheier.

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