VESO PORTARSKY
Veso
Portarsky
Meine
Rückkehr aus Zürich nach Berlin konnte man nicht als einfach
bezeichnen: Swiss Air weigerte sich ein Teil meines Gepäcks zu
transportieren, wenn ich nicht die üppigen Gebühren für Übergepäck
zahlte. Drehte sich alles in diesem kleinen Land nur ums Geld oder
war das nur meine Wahrnehmung? Ich ließ ein Teil davon beim Freund,
der mich zum Flughafen begleitet hatte.
In
Berlin angekommen, wollte mein Vermieter meine Miete um einiges
erhöhen. Vor meiner Reise nach Zürich weigerte er sich zu
akzeptieren, dass ich einem brasilianischen Freund in dieser Zeit
mein Zimmer überließ. Für die acht Monate Zürich Aufenthalt hatte
ich insgesamt zwei Wochenenden in Berlin verbracht.
"Für
acht Monate Miete hatte ich nur vier Tage in Berlin verbracht und die
komplette Monatsmiete immer bezahlt", versuchte ich mit ihm zu
diskutieren. Er war ein Vertreter der klassischen deutschen Schule.
Ordnung, Sauberkeit, Durchhaltevermögen, und eiserne Disziplin
zeichneten ihn aus.
"Für
das Geld konnte ich im Adlon Hotel übernachten", verteidigte
ich meine Argumentationslinie.
"Pack´
Dein Zeug und gehe doch ins Adlon", war seine kurze Antwort.
Er
wusste, dass er am längeren Hebel saß. Er hatte einen alten
Mietvertrag und die rasante Erhöhung der Mietpreise in Berlin Mitte
betraf ihn nicht. Im Gegenteil: Für ihn war es kein Problem, schnell
für einen deutlich höheren Preis einen Nachmieter zu finden. So
sollte ich weiter diplomatisch sein, um nicht auf der Straße zu
bleiben.
Ich
musste mich bemühen, einen Job zu finden, der die laufenden Kosten
deckt. Ich hatte aber weder eine Idee noch die Lust zu arbeiten. Die
Option war, mich beim Arbeitsamt anzumelden. "The Foundation",
wie diese Organisation unter den bulgarischen Akademikern bekannt
war. Die Latinos hatten ihre Kreativität gezeigt und sich einen
besseren Namen ausgedacht. Sie nannten den Sozialhilfeempfang eine
Zusammenarbeit mit dem J.C, was nach dem bekannten US Rapper klang,
aber schließlich als Abkürzung für Job Center stand. Von
Sozialbezügen zu leben und die ganze Zeit mir unbekannten Menschen
Rede und Antwort stehen zu müssen war nicht unbedingt eine Option,
die mich reizte.
Es
war April. Die Zeichen des Frühlings waren in Berlin zu spüren: die
ersten Blumen waren zu sehen, Vögeln fingen an zu zwitschern und die
Menschen lachten öfters. Ich ging spazieren und die Sonne genießen.
Sie wärmte nicht, aber ihr Licht machte mich glücklich.
"Irgendwie
wird sich alles regeln", versuchte ich mir einzureden.
Mit
dem in der Schweiz eingespartes Geld könnte ich zwei Monate in
Berlin überleben.
"Man
muss dem Leben vertrauen!", machte ich mir gedanklich Mut, als
eine Frau mit einem schwarzen Hollandrad vor mir anhielt. Die Dame
war Mitte 40. Sie hatte kurze blonde Haare und ein freundliches
Gesicht.
"Hallo!",
grüßte sie mich mit einem Lächeln.
"Hallo!",
antwortete ich. Ich überlegte, ob ich sie von irgendwo kannte, aber
ich konnte mich nicht erinnern. Wahrscheinlich war sie eine
Touristin, die mich nach dem Weg fragen würde.
"Hätten
Sie Interesse an einer Werbung mitzumachen?", fragte sie.
Ich
schaute sie mir aufmerksam an. Sie hatte einen langen Daumenmantel,
Jeans und Turnschuhe an. Ihr Gesicht war offen. Ihre blauen Augen
strahlten.
"Sie
passen gut in das Bild des Mannes, der gesucht wird", fügte sie
hinzu.
"Was
ist das für eine Werbung?", fragte ich vorsichtig. In meiner
Studienzeit hatte ich einmal ein solches Angebot erhalten. Es war bei
einer Sendung beim ProSieben. Ich sollte so tun, als ob ich an einer
Tankstelle arbeiten würde und während eine Kundin ihr Auto wusch,
sollte ich mich bis auf die Unterwäsche vor versteckter Kamera
ausziehen. Ich habe in dieser Zeit ein Praktikum bei einer Bank
gemacht und die Idee, dass meine Kollegen mich im Fernsehen strippen
sahen, schreckte mich ordentlich ab. Geschweige denn, dass so eine
Sendung zu den Augen meiner konservativ denkenden Mutter in Bulgarien
kam. Dann wäre die Belohnung nicht wert. Ich lehnte es deswegen ab.
"Es
geht um einen Werbespott, der am Flughafen in Frankfurt am Main
gedreht wird. Der Auftraggeber ist Lufthansa..."
"Das
klingt gut. Was muss ich machen?"
"Sie
müssen heute oder spätestens morgen zum Casting nach Kreuzberg
gehen. Wenn Sie ausgewählt werden, müssen Sie bald nach Frankfurt
fliegen und an einem Tag ca 2.000 Euro verdienen"
Das
klang wirklich gut. Ich ging zum Casting. Die Zustimmung kam am
darauffolgenden Tag und ich musste die Woche darauf nach Frankfurt.
Ich
hatte eine kleine Erkältung. Am Abend vor dem Abflug versuchte ich
ein bewährtes, bulgarisches Naturrezept entgegenzusetzen. Ich trank
vor dem Schlafen ein Glas lauwarmer Milch mit Löffel Honig und
frisch gepresster Knoblauchzehe.
"Morgen
wirst Du eine Fahne haben", warnte mich mein Verstand.
"Morgen
werde ich nach einer Mischung von Zahnpasta und Eukalyptus Bonbons
riechen", antwortete ich selbstbewusst.
Die
Wahrheit war, dass ich nervös war. Würde die Erkältung mir
erlauben, mein Bestens zu geben und diese Chance zu nutzen?
Der
Tag fing früh an. Die Sonne schien. Der Himmel war blau. Ich machte
mich auf dem Weg zum Flughafen und genoss den Flug. Das Fliegen
stellte für mich eines der größten Vergnügen im Leben dar. Immer,
wenn ich im Flieger saß und nach unten schaute, musste ich daran
denken, wie klein meine Probleme auf der Erde waren. Wenn ich später
fliegen sollte und einen schönen Sonnenuntergang beobachtete,
bestellte ich mir meistens ein Glas Rotwein. Das war eine Art
Zeremonie der Lebensfreude. Nach meiner Landung in Frankfurt, begann
für mich das Leben als Celebrity an:
Eine
junge Mitarbeiterin der Marketingabteilung von Lufthansa empfing mich
und führte mich durch Personaleingänge in eine riesige Halle, in
dem ein Flieger der Fluggesellschaft geparkt war. Das Flugzeug hatte
zwei Etagen und war von allen Seiten von riesigen Scheinwerfern
beleuchtet. Mir wurde bewusst, dass alles wegen des Werbespots
aufgebaut wurde, in dem ich die Hauptrolle spielen würde. Ein Gefühl
des Stolzes und Aufregung erfüllte mich. Von der Erkältung war kein
Zeichen geblieben. Es gab viel Interessanteres, womit ich zu tun
hatte. Ich wurde zuerst einer Stylistin vorgeführt, die mich
unterschiedliche Anzüge und Hemde anprobieren ließ. Am Ende
entschied sie sich in Absprache mit zwei anderen Damen für eine
Kombination vom weißen Hemd mit grauer Weste. Dann kam eine Make Up
Artist, die lange Kunstwimpern und hellblond gefärbte Haare hatte.
Sie stellte sich als Lisy vor und beschäftigte sich eifrig mit
meinem Gesicht und Frisur. Als ich mich am Ende im Spiegel anschaute,
musste ich lachen: Ich kam mir wie ein Dirigent vor seiner
Uraufführung vor.
Meine
Uraufführung hatte gerade angefangen: Ich musste zügig in den
Flieger einsteigen und mich in die Business Class hinsetzen. Neben
mir war der Sitz frei. Am Fenster saß ein junger Typ, der mir kurz
erzählte, dass er oft bei Werbespots als Begleitperson mitmachte.
Sein Part würde darin bestehen, einfach durch das Fenster zu
schauen, während der Photograph das perfekte Bild von mir machte. Er
stellte eine Art Kulisse für die Werbung dar und brauchte gar nichts
zu machen.
"Was
für gute Jobs gibt es auf dieser Erde!", dachte ich mir, als
der Photograph sich vorstellte. Er schüttelte meine Hand energetisch
und gab Anweisungen. Im Gang der Business Class waren 6-7 Menschen zu
sehen, die sehr beschäftigt wirkten und mit Messungen zu tun hatten.
Ich verstand, dass sie zum Team des Photographen gehörten und mit
der Beleuchtung zu tun hatten. Die Scheinwerfer von außen mussten so
platziert werden, damit das Licht optimal für das Photo ausfallen
würde. Ich musste mich zuerst hinsetzen und entspannen. Bald kam
eine hübsche Stewardess, stellte sich als Claudia vor und meinte,
dass sie mich bedienen würde. Ich nickte zufrieden.
Meine
Aufgabe bestand darin, das Angebot der schönen Flugbegleiterin für
Glas Rotwein anzunehmen, einen Schluck davon zu nehmen und mit einem
Lächeln meine Zufriedenheit zum Ausdruck bringen. Das passte mir.
Das Licht, das die Scheinwerfer warfen, verlieh mir das Gefühl, beim
Sonnenuntergang im Flieger dabei zu sein. Die Schönheit brachte den
Bordeaux, den man normalerweise in der Business Class von Lufthansa
servierte. Diese gelungene Kombination zwischen Merlot and Cabernet
Savignion schmeckte mir gut. So lächelte ich zufrieden. Das Ganze
wiederholte sich in den kommenden zwei Stunden mehrmals. Noch nie
hatte ich innerhalb von zwei Stunden so viel Komplimente von mir
unbekannten Menschen bekommen.
"Wonderful"
"You
are great"
"Your
smile is fantastic"
"Perfect"
"Well
done"
"Amazing"
Das
waren einiges, was ich seitens des Photographen ud seines Teams
empfing. Irgendwann merkte ich aber, dass der Wein mir zu Kopf stieg.
"Wenn
Sie nicht wollen, dass ich bald bulgarische Volkslieder zu singen
anfange, bitte einen Ersatz vom Wein zu finden!", meldete ich
mich zum Wort. Daraufhin wurde der Rotwein durch Kirschensaft
ersetzt, solange das perfekte Photo geschossen wurde.
Ich
übernachtete erschöpft im Hilton Hotel am Flughafen und flog am
nächsten Morgen zurück nach Berlin.
Nach
ungefähr zwei Monaten konnte mich auf einer ganzen Seite in den
deutschen Medien sehen. Ich lächelte zufrieden von den Seiten vom
Spiegel, Stern, die Beilagen von Süddeutsche Zeitung, die Zeit und
die Welt. Die Hälfte des Honorars überwies ich meine Mutter, weil
sie so ein schönes Kind auf die Welt gebracht hatte. Sie lebte im
Dorf und erzählte mir, wie stolz sie der Bankmitarbeiterin der
Kreisstadt erklärte, woher das Geld kam.
Es
war Spätsommer. Ich saß in einem meiner Lieblingscafes in Barcelona
und unterhielt mich mit einem Freund, der als Professor an einer
Kunsthochschule Architektur unterrichtete. Als wir an einen Kiosk
vorbeigingen, stellte er mir die Frage, womit ich jetzt beschäftigt
wäre. Ich nahm lässig die letzte Ausgabe der Spiegel Magazin in die
Hand und zeigte ihm die Werbung von Lufthansa. Er nickte mehrmals.
Ich
dachte, das wäre der Anfang einer großen Kariere in der
Werbebranche und zitierte oft unter Freunden den Spruch :
"Die
Männer sind wie die guten Weine. Je älter sie werden, desto besser
schmecken sie"
Ich
schickte Anfragen an die Marketing Abteilungen von Turkish Airlines,
Quatar, KLM, Iberia und sogar an Swiss Air. Ich überlegte, dass
Discountfluggesellschaften wie Easy Jet kein Budget für solche
Aktionen hatten und schlug Werbung gegen freie Flüge vor. Von keiner
dieser Firmen bekam ich eine Antwort. Ich wusste damals nicht, dass
es um eine einmalige Werbeaktion von Lufthansa ging, die von einer
Werbeagentur in Abstimmung mit ihrer Marketingabteilung durchgeführt
wurde.
"Warum
haben Sie gerade mich ausgewählt?", fragte ich einmal die
Agentur Chefin. Sie öffnete auf ihrem PC ein Bild, das von der
Werbeagentur der Lufthansa davor herum geschickt wurde. Es sah so
aus, als ob jemand mich mit Bleistift gezeichnet hätte.
Das
Leben als Celebrity für einen Tag hat mir gut gefallen. Ich würde
im von einigen Freunden auf der Werbung erkannt. Ein paar andere
Freundinnen musste ich darauf aufmerksam machen. Die ersten
Mieterhöhungen konnte ich mit dem Honorar verkraften und negativen
Folgen des Ruhms im Sinne vom Sex, Drugs and Rock & Roll blieben
mir erspart. Im Großen und Ganzen war ich dem Leben dankbar und
überlegte ein großes Poster mit der Werbung einzurahmen und im Haus
im Dorf, wo meine Mutter lebte, aufzuhängen. Eines Tages könnte es
auch meinen Enkelkindern zeigen.
Das
Universum hat immer eine Überraschung für uns bereit. Die Frage, ob
wir offen genug sind, sie zu erkennen und anzunehmen, bleibt uns
überlassen.
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