Das Symbol von Berlin


Das Symbol von Berlin

Julian war seit drei Jahren mit einer deutschen Frau verheiratet. Ihr Name war Petra. Petra arbeitete als Innenarchitektin. Ästhetik und gute Umgangsformen waren ihr sehr wichtig. Julian kam aus Bulgarien. Obwohl er sein Diplom-Studium in Biologie erfolgreich abgeschlossen hatte, legte er nicht so viel Wert auf Äußerlichkeiten. Oft sagte er zu Petra:

„Ich verstehe nicht, wie eine so hübsche, elegante und intelligente Frau wie du sich auf so einen Balkan-Typen wie mich einlassen konnte. Wir sind doch alle Naturburschen. Wir wollen gutes Essen und guten Sex haben. Nicht mehr und nicht weniger.“
Beide führten ein interessantes Leben. Sie reisten viel in fremde Länder, wanderten in die Berge und wenn sie länger am Stück in Berlin waren, luden sie Freunde zum Essen ein. 

Einmal hatte ich die Ehre, auch dabei zu sein. Die Wohnung war im Dachgeschoß. 180 qm mit Dachterrasse. Petra hatte sie in minimalistischem Stil eingerichtet. In der Küche stand ein großer, runder Holztisch. Rund herum gab es Holzstühle. In der Mitte des Tisches stand eine schöne Vase mit blühenden Orchideen. Daneben brannte ein Kerzenständer mit acht weißen Kerzen. Zum Essen gab es Spargel, der in einem riesigen Römertopf mit Lachs und Ziegenkäse überbacken wurde. Der Rotwein kam aus Bulgarien und war eine gelungene Mischung aus Merlot und Cabernet Sauvignon.
Sechs Leute saßen am Tisch. Petra und Julian hatten mich und meine Freundin sowie ein anderes befreundetes Ehepaar aus Berlin eingeladen. Zwei junge, fein angezogene Männer, die auch im Bereich der Innenarchitektur tätig waren. Das Gespräch drehte sich um den Chef von Petra. 

„Ein riesiger Mann“, versuchte ihn Petra zu beschrieben.
„Das ist kein Mann. Das ist ein Bär“, korrigierte sie Julian.
„Julian! Wie oft muss ich dir sagen, dass du Menschen nicht mit Tieren gleichsetzen sollst! Wir sind nicht in Bulgarien!“, konterte Petra.
„Julian ist doch ein Biologe“, versuchte ich ihn als Bulgare in Schutz zu nehmen.
„Und letztendlich steckt in jedem von uns ein Tier“, unterstützte mich meine Freundin.
Das schwule Paar lachte verlegen.
„Ich würde so einer Aussage nur in begrenztem Umfang Glauben schenken“, wandte der eine mit einer schüchternen Stimme ein. Er hatte schulterlange, lockige, blonde Haare und trug eine Fliege.
„Welcher Aussage?“, fragte Julian.
„Dass in jedem von uns ein Tier steckt. Ich gebe zu, dass wir alle tierische Instinkte in uns tragen, die wir so gerne ausleben“, fügte er hinzu und zwinkerte seinem Partner zu.
„Und darüber hinaus finde ich es nicht gut, dass du über meinen Chef auf so eine respektlose Art und Weise sprichst“, mischte sich Petra in die Diskussion wieder ein und stand sichtlich genervt von ihrem Stuhl auf.
„O.K. O.K. Ist schon gut. Lassen wir die Kirche im Dorf“, versuchte Julian sie zu beruhigen. Er kannte seine Frau und ihr bayerisches Temperament.
„Ich nehme meine Worte zurück. Ich werde meine Beschreibung deines Chefs anders formulieren.“

Am Tisch herrschte gespanntes Schweigen. Das schwule Paar tat so, als ob es sich auf das Essen konzentrieren würde. Ich schenkte meiner Freundin und mir Rotwein nach. Julian war ein Schlitzohr und ich war gespannt, wie er sich aus der Affäre ziehen würde.

„Sagen wir so…“, fing er langsam an und verschränkte seine Arme, als ob er intensiv nachdenken würde.
„Wir sind in Berlin oder?“, fing er an.
„Klar sind wir in Berlin“, antwortete Petra noch im Stehen.
„Dein Chef ist ein Berliner, richtig?“
„Ja, das ist er“, sagte sie. 

Sie stand nach wie vor neben ihm da. Sie trug ein schwarz-weißes Kleid, das bis zu ihren Knien reichte. Sie wartete auf die Worte ihres Mannes. Sie wusste nicht genau, worauf er hinaus wollte.
„Dann wäre es doch keine Beleidigung zu sagen, dass dein Chef wie das Symbol von Berlin aussieht, oder?“, fragte er.

Dann stand er auf und ohne eine Antwort abzuwarten und gab er ihr einen kräftigen Kuss und eine Umarmung. Wir lachten alle darüber, wie er gerade noch die Kurve bekommen hatte. Petra schüttelte ihren Kopf und setzte sich wieder hin.

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Българка или бразилка?

Die Komfortzone

Die Anreize des Firmenlebens