Ein Investmentbanker aus der Schweiz und seine Ängste

Ein Investmentbanker aus der Schweiz und seine Ängste

Markus war kein Angsthase. Als er mit seinem Abi fertig war, verließ er sein Zuhause und zog in die USA. In Chicago absolvierte er ein Masterstudium in Business Administration. Sein Uni-Abschluss an einer der angesehensten, nordamerikanischen Universitäten ermöglichte es ihm schnell, einen guten Job  in seiner Heimat zu finden.

Er arbeitete im Private Banking-Bereich der Deutschen Bank. Täglich musste er zum „Prime Tower“, wo sein Arbeitgeber seinen Firmensitz hatte. Das war das höchste Gebäude in Zürich und Markus genoss die schöne Aussicht auf seine Heimatstadt. Ab und zu ging er auf Geschäftsreise in ferne Länder.  So kam es zu seiner ersten Begegnung mit Ludmila in Moskau. Ludmila war aus Kasachstan und in der Vertretung der Deutschen Bank in der russischen Hauptstadt tätig.

Für Markus war das Liebe auf dem ersten Blick. Ihre langen, schwarzen Locken und ihre Rehaugen verzauberten ihn. Er lud sie zu sich ein und zeigte ihr die Schweiz. Sie fuhren nach St. Moritz zum Skifahren und feierten in der zweiten Januarhälfte das russische Neujahr zusammen. Zwischen den beiden lief es gut. Ludmila war eine jener Frauen, von denen man nur träumen konnte- rücksichtsvoll, intelligent und hübsch. Die Tatsache, dass Ludmila aus einem fremden Kulturkreis kam, machte Markus manchmal ein wenig Angst. So entschied er sich, sich mehr über ihre Familienverhältnisse zu informieren.

„Kannst Du mir ein paar Fotos von Deiner Familie zeigen?“, fragte er einmal, als sie im Hotelzimmer in St. Moritz nach einem langen Skitag zusammen waren.

Ludmila freute sich über sein Interesse, öffnete ihren Laptop und zeigte ihm zuerst ein Foto von ihren Eltern. Der Vater war riesig und hatte einen Vollbart. Die Mutter war zierlich und hatte ein schüchternes Lächeln. Dann kamen die Fotos von den Brüdern.  Das erste war das von einem Ringkämpfer, der nach einem Kampf zum Sieger ernannt wurde und die Hände stolz in die Luft hochstreckte.
„Das ist mein kleiner Bruder“, erklärte Ludmila stolz.
„Er ist Meister im Ringkampf, Mittelgewicht, in Kasachstan.“
Markus nickte zustimmend und respektvoll. Ludmila kam offensichtlich aus einer Sportlerfamilie. Der Vater war Judo-Trainer. Das Foto des zweiten Bruders begeisterte ihn weniger.
Darauf war ein riesiger Kerl mit dunkler Brille und einer Waffe zu sehen.
„Ist dein Bruder hier in der Armee?“, fragte Markus. Ihn erinnerte das Foto an den Film „Rambo“.
„Nein, das ist bei ihm in der Wohnung“, antwortete Ludmila.
„Er arbeitet als Leibwächter des Präsidenten. So wie Kevin Kostner im Film „Bodyguard“ mit Whitney Houston.“

Markus sagte nichts. Er stellte sich vor, diese Familienmitglieder gegen sich zu haben. Diese Männer waren mit allen Wassern gewaschen und konnten ihm schnell das Leben schwer machen. Als Ludmila Markus´Angst spürte, fügte sie mit einem Lächeln hinzu:
„Mit dieser Waffe erledigte mein Bruder bis jetzt drei Männer, die mit mir im Bett waren und dabei keine seriösen Absichten hatten.“

Dieser Scherz ging weit über die Grenze von Markus Schweizer Sozialisierung hinaus. Davon hatte er nur in der Zeitung gelesen. In seiner Imagination sah er einen kleinen Artikel mit seinem Foto in der Schweizer Boulevardzeitung „Blick“.
„Schweizer Investmentbanker von der Kosaken-Mafia im Zentrum von Zürich abgeschlachtet“
Markus versuchte mit größter Mühe seine Gedanken wieder in eine positive Richtung zu bringen, aber das gelang ihm nicht. Irgendwie konnte er die Zeit mit Ludmila nicht mehr genießen. Unterbewusst fing er an, die Tage zu zählen, bis sie wieder zurück in ihre Heimat fuhr.

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