Der Akzent des Weihnachtsmanns - die ungekürzte Fassung


Der Akzent des Weihnachtsmanns

Als ich Student war, arbeitete ich oft während der Weihnachtszeit als Weihnachtsmann. Das war  ein ganz professionell von der studentischen Arbeitsvermittlung „Heinzelmännchen“ der Freien Universität Berlin organisierter Job. Wir mussten die Adressen im Voraus besuchen, um zu sehen, wie weit sie voneinander entfernt waren. Wer ein Auto hatte, konnte auch einen Engel mitnehmen. Wir durften bei den Familien keine Einladung zu Drinks annehmen, sonst wären wir am Ende betrunken und würden nicht seriös als Weihnachtsmann rüberkommen.

Jeder von uns bekam eine Liste mit 16 Familien. Pro Familie hatten wir 20 bis 30 Minuten Zeit, um die Kinder zu beschenken. Ich kam immer mit  einem Weihnachtslied, meistens „Jingle Bells“, in die Wohnungen hinein und ließ mir von den Kindern den Weihnachtsbaum zeigen und einen Stuhl geben. Das dauerte ungefähr fünf Minuten.  Innerhalb der nächsten fünfzehn bis zwanzig Minuten spürte ich oft, inwieweit bei der Familie wirklich Liebe und Harmonie herrschte. Viele Familien bestellten den Weihnachtsmann in der Hoffnung, die fehlende Harmonie dadurch zu ersetzen. Viele Kinder bekamen viel zu viele Geschenke, die vom Berufsleben gestressten Eltern wollten so ihre fehlende Aufmerksamkeit kompensieren. Und fünf Minuten blieben mir um zu gehen, während die Kinder ihre Geschenke auspackten. Es war stressig, aber auch schön, Kinder zu beglücken.

Das Weihnachtsmannkostüm lag schon einige Jahre im Keller und ich packte es die letzten Jahre zu Weihnachten nur aus, um meine Nichte zu bescheren. Ich hatte Angst, dass sie mich erkennen würde. Kinder sind klüger, als man denkt. So kletterte ich auf die Terrasse, winkte ihr durch die Glasscheibe zu, ließ den Sack voller Geschenke und verschwand in der Nacht, ohne mit ihr zu reden.

Vor einigen Tagen traf ich zufälligerweise einen deutschen Freund aus der Uni Zeit. Er erzählte mir, dass er immer noch den Job als Weihnachtsmann am Heiligen Abend machte. Die Vermittlung ginge nicht mehr über die Uni, sondern über eine private Weihnachtsmannzentrale.

„Sie suchen dringend neue Weihnachtsmänner!“, fügte er hinzu und schrieb mir auf einem Zettel die Telefonnummer der Organisation auf.

 Ich besprach es mit meiner Freundin und sie willigte mit den Worten ein:

„Wenn Du spätestens um 18:30 Uhr zu Hause bist, kannst Du es am Heiligen Abend machen“

Am nächsten Tag rief ich die private Weihnachtsmannzentrale an und brachte meinen Wunsch zum Ausdruck.

Am Telefon war ein Herr, der sofort meinte, dass ich nicht in Frage kommen würde, da sie nur Weihnachtsmänner mit perfektem Deutsch einstellen würden. Seine Stimme klang sachlich und emotionslos.

Ich wollte nicht so schnell die Realisierung meiner Idee aufgeben und erzählte ihm, dass ich einen Uni Abschluss in Deutschland habe und seit einigen Jahren im Besitz eines deutschen Passes bin. Daraufhin hatte er mich mit seiner Vorgesetzten verbunden.

„Weihnachtsmannzentrale-Sie sprechen mit Frau Müller!“, begrüßte mich mit Autorität und fester Stimme seine Chefin.

„Hallo, Frau Müller. Ich heiße Portarsky und möchte bei Ihnen als Weihnachtsmann arbeiten!“, äußerte ich kurz mein Vorhaben.

„Wir können leider Sie als Weihnachtsmann nicht berücksichtigen, da wir nur Weihnachtsmänner mit perfektem Deutsch einsetzen!“, kam die gleiche Antwort.

„Wissen Sie, ich habe gerade Ihrem Mitarbeiter erzählt, dass ich einen Universitätsabschluss in Deutschland habe und ein deutscher Staatsangehöriger bin“, versuchte ich ruhig zu bleiben.

„Das glaube ich Ihnen gerne, aber das ändert nichts an unseren Richtlinien!“, antwortete die Dame sachlich.

„Darüber hinaus habe ich 6 Jahre lang als Weihnachtsmann gearbeitet und war nicht nur bei Familien, sondern in Kindergärten und Krankenhäusern im Einsatz!“, bemühte ich mich die Dame auf meine Berufserfahrung als Weihnachtsmann aufmerksam zu machen und so sie zu überzeugen.

 „Man merkt aber, dass Sie die Schule nicht in Deutschland besucht haben und daher einen Akzent haben!“, konterte sie.

„ Deswegen können wir Sie als Weihnachtsmann bei uns nicht berücksichtigen!“

Ich konnte meinen Ohren nicht glauben. Ich dachte, ich hätte mich verhört!

War das wirklich das Jahr 2016 und ich befand ich mich in der Tat in Berlin-die Hauptstadt der Kreativität,  Offenheit und der multikulturellen Verständigung?
Ich wollte mehr Klarheit haben und stellte meine Frage:

„Also darf ich bei Ihnen nicht als Weihnachtsmann arbeiten, weil ich Deutsch mit einem Akzent spreche?!? Habe ich Sie richtig verstanden?!?“

„Verstehen Sie mich nicht falsch!“, erwiderte die Chefin.
„Wir haben nichts gegen Ausländer. Die Eltern, die bei uns buchen, haben auch nichts gegen Ausländer, aber die Kinder wollen einen Weihnachtsmann zu Hause haben, der perfekt und vor allem akzentfrei Deutsch sprechen kann!“

Ich wusste nicht, ob ich über diese Antwort lachen oder weinen musste. Die kleinen Kinder hätten also etwas gegen einen Weihnachtsmann, der nicht akzentfrei Deutsch sprechen könnte.

„Wissen Sie, woher der Weihnachtsmann ursprünglich kommt?“, wollte ich die Dame fragen, aber entschied das für mich zu behalten.

„Wissen Sie, ich schreibe ab und zu lustige Kurzgeschichten, die auch über meine Erfahrungen als Weihnachtsmann berichten…“, erzählte ich ihr.

Die Dame schwieg zuerst einige Sekunden, Dann hörte ich sie sagen:

„Ich sehe, Sie stellen einen besonderen Fall dar.  Können Sie mir Ihre Telefonnummer und Namen geben- dann leite ich es an den Oberweihnachtsmann weiter, der entscheiden wird, ob Sie als Weihnachtsmann bei uns arbeiten dürfen!“

Ich merkte, dass ihre Stimme ein wenig freundlicher wurde, bevor ich auflegte.

Für mich stand es fest: Am Tag der Liebe, als Jesus vor 2016 Jahren auf die Welt kam, wird in Berlin die Diskriminierung auf Kosten der Kleinkinder ausgetragen. Wahrscheinlich waren sie die einzigen Wesen, die frei von Vorurteilen und Schubladendenken geblieben sind. Ich erzählte das Erlebte einigen Freunden, die für Medien arbeiteten.

Nachdem sich die Journalistin einer Tageszeitung beim Oberweihnachtsmann gemeldet hatte, rief er mich höchstpersönlich an.

Er fragte mich, wie lange ich in Deutschland war und bot mir einen Job bei ihm an. Ich lehnte höflich ab.

Schließlich musste ich noch den lappländischen Akzent fleißig üben, bevor ich mich wieder für den Job als Weihnachtsmann bewerben konnte.

Kommentare

  1. Sehr schön von Dir lesen zu koennen! Ich hoffe es geht Dir gut und hoffe Dich irgendwann mal wieder sehen! Liebe gruesse aus Island und frohe Weihnachten!

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