Das Mädchen aus Zürich
Das Mädchen aus Zürich
Es
war einer dieser Sommertage, die die Stadt Zürich zu den besten Orten der Welt
machten. Der Zürichsee war voll mit gut gelaunten Menschen. Live-Musik aus
aller Herren Länder war alle 20 Meter zu hören. Kinder spielten unbekümmert auf
den reinen, grünen Wiesen vor dem chinesischen Garten, und die Eisverkäufer
freuten sich über gute Umsätze. Ich war auf meinem Fahrrad auf dem Weg zu einem
Strand, der mir als einer der besten am See empfohlen wurde. Dann sah ich
dieses Mädchen. Es lief an mir vorbei und für eine Sekunde trafen sich unsere
Blicke. Eine Sekunde, die mich ganz schön durcheinander brachte. Sie sah
bezaubernd aus: goldene, blonde, lockige Haare, Sommersprossen in einem süßen
Gesicht mit grünen Augen, ein leichtes Sommerkleid, das bis zu den Knien ihre
schöne Figur bedeckte und die runde Form ihrer üppigen Brüste zur Schau
stellte. Ich fuhr weiter, aber sie ging mir nicht mehr aus dem Kopf. Ich
dachte, das war nicht das erste Mal, dass ich dieses Mädchen traf. In meinem
Kopf hämmerte es: Woher kannte ich es? Hatte ich mich mit ihr bereits
unterhalten? Wo und Wann? Normalerweise konnte ich mich gut an Menschen und
ihre Gesichter erinnern, wenn ich mit ihnen zuvor schon einmal geredet hatte. Bei
diesem Mädchen hatte ich dieses Gefühl. Ich drehte die Pedale meines Fahrrads
weiter, aber mein Kopf war vollkommen mit diesen Fragen beschäftigt. Und wenn
man sich klare Fragen stellt, bekommt man meistens auch klare Antworten. Sie
kamen schnell:
„Klar
kennst du sie!“
„Du
bist mit ihr vor 6 Wochen von Bern nach Zürich in einem Zugabteil gefahren.
„Ihr
habt die ganze Zeit geredet. Sie machte einen sehr gebildeten Eindruck auf
Dich.“
„Ihr
habt sogar Email-Adressen ausgetauscht und du hast ihr geschrieben und sie
antwortete Dir. Du musstest verreisen, deswegen kam es zu keinem Wiedersehen.“
„Jawohl,
jetzt hat Dir das Leben eine zweite Chance gegeben. Nutze sie!“
Ich
drehte zügig das Fahrrad um und fuhr so schnell in die Richtung des Mädchens
wie es mir mein altes Fahrrad erlaubte. Es war schön heiß und ich schwitzte
viel, wollte aber nicht diese Chance verpassen. Nachdem ich 5 Minuten
zurückgerast war, konnte ich sie in einer der Straßen einholen. Sie bewegte
sich graziös. Ich verlangsamte das Tempo und kam mit Freude auf sie zu. Ich
wollte sie nicht verschrecken. Ich berührte sie sanft an ihrer rechten
Schulter. Ich bemühte mich, so sacht wie möglich zu sein. Sie drehte sich zu mir. Ich lächelte sie an.
Die Sonne schien in diesem Augenblick ein Stück stärker. Sie schwieg.
„Wir
kennen uns doch!“, konnte ich mit Mühe aussprechen. Ich war noch außer Atem.
„Klar!
Vom Zug!“, erwiderte sie und fügte schnell hinzu:
„Jetzt
habe ich aber keine Zeit!“
Dann
drehte sie sich wieder und ging weiter ihren Weg.
Ihr
Gesicht blieb regungslos. Keine Emotion, nicht mal ein Lächeln! Nur eine kühle
Feststellung. Sie wusste also bereits Bescheid, woher wir uns kannten und ich
musste mir erst den Kopf darüber zerbrechen und ihr wie ein Wahnsinniger
hinterher fahren. Sie wusste es noch, als sie mir auf der Straße davor zufällig
begegnet war und hatte mich nicht einmal gegrüßt. Ein kurzes Kopfnicken oder
ein kleines Grinsen hätten vollkommen gereicht.
Ich roch meinen Schweiß, spürte die Sonne in meinem Gesicht, schaute,
wie sie sich mit schnellem, zielgerichtetem Gang entfernte, und kam mir
erbärmlich dumm vor. Ich fühlte mich wie ein Obdachloser, der nach Almosen
gefragt hatte. Sie hatte mich so abgewimmelt, also ob sie mich noch nie zuvor
in ihrem Leben getroffen hätte, als ob wir zwei uns vollkommen fremd wären. Und
ich dachte bei unserer Zugbegegnung, dass sie so schön, klug und interessant
war. Vielleicht war sie das auch. Vielleicht war so etwas in der Schweiz
normal. Ich entschied mich, zurück zum Zürichsee zu fahren und einmal zum Wohl
der Schweizer Männer ins Wasser zu springen. Ich musste Mitgefühl für diese
Menschen entwickeln. Als ich den See erreichte, zog ich meine Klamotten aus und
sprang hinein. Das Wasser war erfrischend. Man sagte vom Zürichsee, dass man
sein Wasser trinken könne. Beim Schwimmen hörte ich eine Stimme. Sie kam aus
der Tiefe des Sees und offenbarte mir den Geist dieser Stadt. Die Stimme sprach
auf Englisch zu mir:
„In the Mecca of capitalism
I feel fanaticism
If the beauty of a town can be measured
By the number of smiling girls that can be found
Zurich, you will be the number one, but the other way
around”
Ich
erzählte einige Tage später einer Freundin die Geschichte. Sie hörte mir
aufmerksam zu und sagte am Ende:
„Diese
Geschichte habe ich bereits gehört!"
„Wahrscheinlich
ist die Geschichte so banal, dass sie sie kannte..", dachte ich.
„Übrigens
heißt `das Mädchen aus Zürich´ Sarah und wir sind gut miteinander befreundet",
unterbrach die Stimme meiner Freundin meine Gedanken.
„Wie
bitte?!", konnte ich nur sagen. Ich wusste, dass Zürich 400.000 Einwohner
hatte und dass sich die jungen Menschen untereinander kannten. Gleichzeitig war
es für mich unglaublich, dass diese Freundin von mir `das Mädchen aus Zürich´
so gut kannte.
„Ja,
Sarah meinte, dass Du nach Eurem Treffen im Zug einfach verschwunden wärst."
„Aber
ich musste mit meinem jobbedingt verreisen…"
„Davon
hat sie nichts erzählt. Vielleicht wusste sie das nicht."
„Hat
sie deswegen so reagiert?"
„Ja!"
„Verrückt!",
sagte ich.
Das
Leben brachte uns täglich Chancen, neue Menschen kennenzulernen. Oft hielt
unser Ego uns davon ab, sie als solche zu erkennen.
Ich
nahm mir vor, beim nächsten Schwimmen im Zürichsee das mit dem Geist des Sees
auf Schwizerdütsch zu besprechen.
Kommentare
Kommentar veröffentlichen