Lapo Elkann
Lapo
Elkann
"The
Corner" ist der Name eines Modegeschäfts in Berlin Mitte, das
zum ersten Mal ein Konzept aus Italien nach Berlin gebracht hat. Das
Neue daran war, dass neben der Designer Mode wertvolle Kunstbücher
verkauft wurden und man dazu eine Tasse Kaffee oder einen anderen
Drink bestellen durfte. Es war eine Art Mischung aus Mode, Literatur
und Bar, die man in Berlin davor in dieser Größe nicht kannte. Der
Laden war riesig und lag an einem der schönsten Orte Berlins: dem
Gendarmenmarkt.
Meine
Ex-Freundin arbeitete da und erzählte mir, dass der Inhaber früher
als Assistent bei Georgio Armani tätig war. Sie ermöglichte mir den
Zugang zu interessanten Events, die dort meistens während der
Fashion Week stattfanden und nur für ausgelesene Gäste zugänglich
waren.
So
kam es zum Event, als Lapo Elkann seine Brillenkolektion im Laden
präsentierte. Ich wusste von ihm, dass er weltweit als Jetsetter
unterwegs war. Er war nicht nur steinreich, aber auch als innovativer
und gut aussehender Fiat-Erbe bekannt.
Es
war ein schöner Abend im Juli. Die Fashion Week hatte gerade
angefangen und ich freute mich auf die schönen Menschen, die in der
Stadt unterwegs waren. Ich zog einen dunkelblauen Anzug mit einem
weißen Hemd an, nahm mein Fahrrad und fuhr zum Laden. Ich wohnte
nicht so weit entfernt, erreichte ihn schnell, parkte mein Fahrrad
ein und grüßte einen großen Mann an der Tür, der als eine
Mischung aus Absperrung und Türsteher fungierte. Das war einer
dieser Männer, bei denen man das Gefühl hatte, dass man sich auf
seiner Hand hinsetzen konnte. Es gab einen roten Teppich. Zwei junge,
charmante, blonde Mädchen mit weißen Kleidern überprüften, ob
mein Name auf der Gästeliste zu finden war, und gewährten mir den
Eintritt. Meine Ex war bereits dabei und sah bezaubernd aus. Sie trug
ein grünes Kleid, das ihre Weiblichkeit betonte. Ich freute mich,
dass wir eine gute Freundschaft pflegten, obwohl wir seit einigen
Jahren auseinander waren. Ich glaubte daran, dass Menschen, die
zusammen waren und eine gute Zeit miteinander hatten, weiter gut
befreundet sein konnten. Schließlich kannte man sich auf einer
Ebene, auf der man nicht viele Menschen in einem Leben kennenlernen
würde. Sie umarmte mich, gab mir einen flüchtigen Wangenkuss und
führte mich mit einem Kompliment ein.
„Schön,
dass Du gekommen bist! Und wie ich sehe, hast du deinen schönsten
Anzug angezogen!"
„Man
muss immer seine schönsten Klamotten anziehen oder? Du siehst auch
super aus", erwiderte ich.
„Wo
ist der Lapo?"
„Siehst
du nicht da den Mann im roten Anzug und roten Brillen?"
„Ist
das wirklich der Fiat-Erbe? Wow! Er sieht exzentrisch aus!"
„Ja,
das ist er! Er ist ein bunter Vogel. Er war unter anderem Assistent
beim Kissinger. So könntest du dich mit ihm über Politik
austauschen."
„Wäre
mein Opa auch Gianni Agnelli, wäre ich problemlos als Privatsekretär
von Berlusconi tätig!", scherzte ich.
„So
elegant wie du heute aussiehst, könntest du für einen dieser
italienischen Männer gehalten werden, die mit ihm gekommen sind.
Vielleicht ist das Deine Chance, endlich eine reiche Frau zu finden",
nahm sie mich auf den Arm.
Was
könnte für einen Mann besser sein als in einem Land im Norden
Europas für einen heißblütigen und darüber hinaus wohlhabenden
Italiener gehalten zu werden? Ich erinnerte mich an die Zeit, als
mein italienischer Freund Mario in meine WG im Studentenwohnheim in
Berlin eingezogen war. Er sah am Anfang ein wenig überfordert aus.
„Junge,
Mario! Du hast in Deutschland die besten Karten bei den Frauen!",
ermutigte ich ihn.
„Du
brauchst gar nicht so viel zu machen. Wenn Du auf eine Party gehst,
sag einfach kurz Deinen Namen und erwähne nebenbei, dass Du aus
Italien bist. Dann kannst du dich mit Deinem Drink hinsetzen und
entspannen. Die deutschen Frauen kommen von allein auf Dich zu!",
riet ich ihm damals.
Mario
machte seine Doktorarbeit in Philosophie und blieb nur kurze Zeit in
Berlin. Er ging selten aus. Frauen gehörten nicht zu seinen
Prioritäten. Stereotypen stimmten nicht immer. Als ich aber jetzt im
Laden war, mein Glas mit dem kühlen Weißwein in der Hand hielt und
die neugierigen Blicke der Frauen auf mir spürte, empfand ich
Dankbarkeit meinen Eltern gegenüber dafür, dass ich für einen
Italiener gehalten werden konnte. Im Laden war viel los. Ich erkannte
Barbara Becker und andere Gesichter, die man normalerweise nur in den
Hochglanzmagazinen sehen konnte. Der bunte Vogel Lapo fiel aber
richtig auf. Sein extravaganter, roter Sommeranzug und die lässige
Sommerbrille mit roten Rahmen standen ihm gut. Sein Gesicht strahlte
eine warme Freundlichkeit aus.
„Wenn
man eine Brillenkollektion präsentiert, musste man zu seinen
Produkten stehen und sie am besten auch tragen", dachte ich mir.
Rund um ihn gab es viele Menschen. Frauen und Männer waren daran
interessiert, ihn persönlich kennenzulernen. Er war großgewachsen
und man merkte an seiner Gestik, dass er über feine Manieren
verfügte. Ich überlegte, wie ich ihn am besten ansprechen sollte.
„Ciao
Bello! Stimmt es, dass Du in der Wohnung dieses alten Travestiten in
New York nach heftigem Kokainkonsum von Notärzten abgeholt wurdest
und drei Tage danach im Koma lagst?", war wahrscheinlich nicht
die beste Idee für Gesprächseröffnung.
„Hey
Man, wolltest Du wirklich mit der Kreativdirektorin von Gucci ein
neues Designauto entwickeln?", wäre bestimmt auch langweilig,
da es wieder um seinen Job ging.
Als
der richtige Moment dafür kam, hatte ich auch eine bessere Idee im
Kopf.
„Freue
mich, Dich persönlich kennenzulernen, Lapo!", schüttelte ich
ihm die Hand. Er lächelte zurück.
„Wollte
Dich immer fragen, ob das stimmte, dass Du nachtsüber mit Freunden
auf die private Insel deines Opas gesprungen bist, um die Qualität
der Security zu testen?"
Er
lachte laut und schüttelte seinen Kopf.
„Man,
ich hatte so viel Angst! Es war dunkel und windig! Ich überlegte, ob
ich das Sprung eine gute Idee war oder ich es für ein anderes Mal
aufheben sollte. Aber Du weißt, wie es ist! Freunde waren dabei. Ich
wollte mich nicht vor ihren Augen blamieren. So sprang ich!"
„Respekt!",
lobte ich ihn.
„Ich
hatte eine ähnliche Situation an einem Pool in Sofia, wo ich auf den
10 Meter-Turm geklettert bin. Von unten sah alles so easy aus, aber
da oben kam mir der Pool winzig klein vor und ich musste mich auch
überwinden und hineinspringen. Leider ist es nicht so gut gelaufen?"
„Wieso
nicht?", zeigte der bekannte Italiener seinerseits Interesse.
„Na
ja, ich hatte meine Körperkontrolle verloren und bin voll mit dem
Rücken auf das Wasser geprallt!"
„Das
tut weh!"
"Und
wie?! Ich hatte das Gefühl, dass mein Körper mit einem Messer
geschnitten wurde und schaute mich auf der Wasseroberfläche nach
roten Flecken meines Blutes um!"
„Ha
ha!", lachte Lapo gelassen.
Bei
Menschen aus Italien empfand ich es immer als bewundernswert, dass
sie eine Art natürlichen und kultivierten Umgang miteinander hatten.
Bei der Kommunikation mit ihnen hatte ich oft das Gefühl, als ob sie
das Kind in sich lebendig halten würden. Ich fragte mich, ob ich so
unvoreingenommen mit einem Erbe vom Volkswagen oder BMW-Konzern reden
konnte und erinnerte mich an das erste Mal, wie ich Italien besucht
hatte. Ich war auf dem Weg zu einer Hochzeit. Es war Anfang der 90er.
Ich war spät dran und musste mir schnell ein Visum ausstellen
lassen. Ich war in der italienischen Botschaft und es gab eine
Schlange.
„Verzeihen
Sie, ich muss als Trauzeuge auf einer Hochzeit in Viterbo auftreten,
die übermorgen stattfindet", sprach den italienischen
Dienstherrn an.
„Dürfte
ich mich vordrängen?"
Das
war ein älterer Herr, der einen Anzug anhatte. Die Schlange bestand
aus 7-8 Menschen, die mich schweigend anschauten. Seine Antwort würde
ich nie vergessen:
„Junge,
wir sind hier nicht in der Schule!", sagte er damals zu mir.
Ich
erzählte Lapo, dass ich VIP-Fußballtickets in Osteuropa verkaufe
und fragte, ob er Erfahrung an diesen Märkten mit seiner
Brillenkollektion gesammelt hatte.
Er
brachte einen anderen großgewachsenen Italiener und stellte mich
vor:
„Das
ist David! Er ist für internationale Märkte zuständig. Wir sind
immer offen für neue Märkte und Ideen."
David
erinnerte mich mit seiner Glatze und dem Vollbart an italienischen
Fußballspieler Gianluca Vialli. Ich machte ihm das Kompliment.
„Viele
sagen das!", antwortete er selbstbewusst.
Lapo
war dabei, sich zu verabschieden und ich fragte ihn nach seiner
Email. Er schrieb mir eine lange Blueberry Email- Adresse auf und
drückte mir die Hand zum Abschied. Mit David lief die Kommunikation
nicht so glatt. Ich spürte eine gewisse Überheblichkeit in seiner
Art. Ich tauschte mit ihm Visitenkarten und wir machten aus, dass ich
mich bei ihm melde, wenn ich nächstes Mal in Mailand bin. Ich nahm
sein Wort ernst und machte meine Reisepläne so, dass ich auf dem
Rückweg von Sofia nach Berlin für eine Nacht in Mailand bleiben
konnte. Ich fragte David per Email, ob das Datum ihm passen würde
und er antwortete mit einem kurzen Ok. Ich fragte, ob ich ihn um 15
Uhr nachmittags bei ihm im Büro treffen konnte und seine Antwort war
wieder Ok. Ich fragte ihn, ob er mir die Anschrift seines Büros
mitteilen konnte, aber bekam keine Antwort. So landete ich in Mailand
und schrieb ihm eine SMS. Dann versuchte ich ihn mehrmals anzurufen,
aber entweder war es besetzt oder es schaltete sich ein
Anrufbeantworter ein, auf dem ich zwei Nachrichten hinterlassen
hatte. David meldete sich wieder gegen 21Uhr bei mir telefonisch.
„Was
bildest Du dir ein, so einen Stress zu machen!", schrie er mich
am Telefon an.
Ich
spürte, wie sich die unbändige Kraft eines Wutausbruchs in meiner
Brust ausbreitete. Gleichzeitig wusste ich, dass ich, wenn ich mich
davon leiten ließ, alles kaputt machen würde. Ich versuchte ruhig
zu antworten:
„Wir
waren doch heute verabredet und ich habe deswegen meinen Flug über
Mailand gebucht, um dich zu treffen."
„Du
hast mir den Tag zur Hölle gemacht!", blieb er bei seiner
überheblichen Stimmlage.
„Ich
weiß nicht, ob Du mich mit jemandem verwechselst. Lapo hat uns in
Berlin vorgestellt. Wir sollten uns treffen, um eine mögliche
Expansion in Russland zu besprechen", bemühte mich, eine
sachliche Kommunikation zu führen.
„Du
musst Deine Email noch einmal checken. Wir waren heute um 15 Uhr bei
Dir im Büro verabredet, um das zu besprechen."
„Ich
bin nicht interessiert mit Dir zusammenzuarbeiten! So einen Stress
hast Du heute gemacht. Bitte keine Anrufe mehr!", ordnete David
an.
Was
bildete sich diese Glatze ein? Wenn er Marketingdirektor einer Firma
wäre, durfte er mit anderen Menschen so reden, als ob sie seine
Sklaven wären. Ich wollte ihn anschreien und ihn als einen
rücksichtslosen Frosch beschimpfen. Als Frösche waren die Italiener
in Bulgarien bekannt, da diejenigen, die Bulgarien besuchen, meistens
klein waren und eine große Klappe hatten. Dann atmete ich tief ein
und aus. Ich erinnerte mich an die Worte einer hübschen
Yoga-Lehrerin. Sie sagte, dass die innere Freiheit im Zeitraum
zwischen dem Reiz und der Reaktion definiert wird. Je größer sein
Ausmaß, desto freier wäre der Mensch. So atmete ich noch einmal
tief ein und aus. Seine Worte wirkten beleidigend auf mich und ich
konnte sie nicht ohne Kommentar sein lassen:
„Lass
Dich in Moskau nicht blicken, Herr Direktor – sonst wirst du
erfahren, was wirklich Stress heißt!", sagte ich, bevor ich
auflegte.
Als
ich nach Berlin zurückkehrte, rief ich bei meinem langjährigen,
italienischen Freund Mario an, der mittlerweile als
Philosophieprofessor an der Universität in Torino arbeitete und
schilderte ihm meine Erlebnisse. Er hörte mir aufmerksam zu und
sagte:
„Veso,
Du musst wissen, dass sich solche Menschen wie David in Italien für
Götter halten. Aus seiner Sicht musst Du Dich glücklich schätzen,
wenn Du mit ihm überhaupt zu tun hast und sogar, wenn Du auf ihn
warten musstest! Und noch etwas Wichtiges muss ich Dir sagen: schön,
dass Du uns Italiener für ein kultiviertes Volk hältst, aber
leider, seitdem Berlusconi an die Macht kam, laufen täglich diese
TV-Shows in seinen Fernsehsendern mit hübschen Blondinen, die Dein
Los für den Geldgewinn Deines Lebens ziehen. Er hat das Prinzip
„Brot und Spiele" in die Tat umgesetzt. Das hat erheblich zur
Verdummung des italienischen Volkes geführt und deswegen sind diese
Fußball- und Fashionleute so überheblich! Sie sind die neuen Helden
der italienischen Gesellschaft!"
Ich
entschied mich, alles Lapo zu schildern. Ich fand die Karte, auf der
er mir seine lange Blueberry Email-Adresse aufgeschrieben hatte. Man
sagt, dass man anhand der Schrift den Charakter eines Menschen
erkennen kann. Sind die Buchstaben nach rechts gerichtet, sollte das
für eine extrovertierte Natur sprechen. Schreibe man die Buchstaben
eher nach links, sollte es ein Indiz für einen introvertierten
Charakter sein. Anhand des Unterschieds zwischen den Groß- und
Kleinbuchstaben kann man das Selbstwertgefühl eines Menschen
erkennen. Je größer die Differenz, desto stärker das
Selbstwertgefühl. Bei Lapo war alles durcheinander: Seine Schrift
war kurz nach links, dann nach rechts, einmal klein, einmal groß.
Ich schrieb ihm alles auf, was mir mit seinem Marketingdirektor
passiert war. Komischerweise kam die Email zurück. Eine ungültige
Email-Adresse wurde als Grund genannt. Ich überprüfte es noch
einmal. Ich hatte es korrekt eingetragen. Hat er mir eine falsche
Email-Adresse gegeben? Hatte er dabei einen Buchstaben vergessen oder
wechselte er die Email-Adressen so schnell? Das wusste ich nicht.
Vor
kurzem erfuhr ich von der Presse, dass die New Yorker Polizei ihn
verhaftet hat. Der Vorwurf lautete, dass er seine Entführung selbst
inszeniert hätte, um Geld von seiner Familie einzutreiben.
Offensichtlich hatte die Familie davor versucht, seine Ausgaben zu
reduzieren und ihm ein Tagesbudget aufgelegt. Lapo forderte im Namen
seiner Entführer einen bescheidenen Betrag von 10.000 US Dollar für
seine Befreiung, was die Bullen auf die Idee brachte, dass er einfach
mehr Geld für Drogen haben wollte.
Es
ist sicher nicht einfach als Fiat-Erbe auf diese Erde zu kommen. Dazu
einen freien Geist in sich zu tragen machte es offensichtlich viel
komplizierter.
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