Zum ersten Mal zum Spaziergang in Tiergarten
Zum
ersten Mal zum Spaziergang in Tiergarten
Es war ein herrlicher Herbsttag. Die Sonne schien.
Die Natur hatte die Blätter der Bäume in prächtigen, goldenen Farben bemalt.
Ich war erst seit 10 Tagen in Berlin und wusste noch
nicht, dass der Herbst in Deutschland eine Jahreszeit war, die nicht sehr lange
dauerte und einen schnellen Übergang zu einem langen und dunklen Winter
darstellte.
So ging ich lange durch die Alleen des Tiergartens
spazieren, genoss den Anblick schöner Denkmäler und beobachtete, wie sich die
Bäume in den Wasserkanälen widerspiegelten. Irgendwann fühlte ich mich ein
wenig müde und setzte mich auf eine Parkbank hin.
Die Bank lag ein wenig versteckt hinter einer
kleinen Brücke und bot eine wunderschöne Aussicht auf eine Vielfalt von Farben,
in denen die Bäume erstrahlten. Es war einige Minuten menschenleer, bis ein
alter Mann vorbeiging. Ich grüßte ihn mit einem Lächeln. Schließlich waren wir abgesehen
von einigen singenden Vögeln die einzigen Lebewesen an diesem sonnigen
Nachmittag. Er schaute mich lange und prüfend an, als er an mir vorbeiging,
verlor aber kein Wort.
Ich erinnerte mich, dass es in Deutschland nicht
angemessen war, Menschen zu grüßen oder anzulächeln, die man nicht kannte.
Schließlich waren die Deutschen auch in Bulgarien als distanziert und
kontaktscheu bekannt. Ich ging davon aus, dass er deswegen so auf meinen Gruß
reagierte.
Umso größer war meine Überraschung, als ich den
alten Mann nach wenigen Minuten zurückkommen sah.
Vielleicht hatte er sich überlegt, dass er auf
meinen Gruß antworten wollte.
Ich hatte gelesen, dass Menschen aus Deutschland
lange Zeit brauchten bevor sie mit einem anderen Menschen Kontakt aufnahmen.
Vieleicht hatte er es sich anders überlegt und wollte letztendlich einen
freundlichen Eindruck hinterlassen.
So schaute ich den alten Mann wieder mit einem
freundlichen Lächeln an und erwartete seinen Gruß.
Er trug eine weiße Baseballmütze und hatte eine
Brille mit dünnem, goldenem Rahmen auf. Seine Jeansjacke war bis oben hin
zugeknöpft. Dieses Mal ging er einen Schritt langsamer an mir vorbei. Er
schaute mich wieder lange und prüfend an.
Sein Blick hatte etwas Unklares, etwas Forderndes,
als ob er etwas von mir erwarten würde...Der Typ war aus meiner Sicht
unberechenbar.
Oder bildete ich mir das nur ein?
Vielleicht war er einfach nur müde von seinem
Spaziergang und wollte langsamer zurückgehen, damit seine Kräfte ausreichen
würden, um nach Hause zu kommen.
Umso größer war mein Staunen, als er wiederkam und
sich neben mich setzte. Ich fühlte mich ein wenig unwohl, seine körperliche
Präsenz neben mir zu spüren. Er roch nach einem intensiven, herben Duft.
Was hatte das zu bedeuten? Was hatte er vor?
Körperlich war ich ihm überlegen.
Für den Fall, dass er mich ausrauben wollte, hatte
ich nichts zu befürchten. Schließlich hatte ich nicht umsonst viele Jahre
intensiv Taekwondo praktiziert.
Ich versuchte mich zu entspannen. Vielleicht war es
dem Alten danach, ein wenig Smalltalk über das herrliche Herbstwetter zu
halten.
Ich schaute zuerst nach vorne. Dann schaute ich ihn an. Unsere Blicke trafen sich. Es gab etwas Trübes in seinen blauen Augen. Dann kam seine Frage:
„Darf ich Ihnen einen blasen?“
Ich stand auf und rannte so schnell ich konnte
davon.
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