„All you can eat Sushi”

 All you can eat Sushi




Das Restaurant lag in Berlin Charlottenburg. Es war nicht weit vom Funkturm entfernt. Die Einladung kam von Alex, der sich dafür bedanken wollte, dass ich ihm einen Auftrag vermittelt hatte: Er konnte eine Wohnung renovieren und gutes Geld dabei machen.
So kam ich mit ihm in diese Gaststätte, um so viel Sushi zu essen wie unser Magen vertragen konnte. Es war Mittagszeit an einem warmen Herbsttag. Berlin war großzügig und beschenkte uns mit Sonnenschein. Das Gebäude hatte wie die meisten anderen in dieser Straße fünf Stockwerke und eine graue Farbe. An einem sonnigen Tag wirkte das nicht deprimierend. Wir gingen ins Restaurant hinein und wurden von einer kleinen Asiatin begrüßt und an einem viereckigen Tisch am Fenster platziert. Bei den Menschen asiatischer Herkunft fiel es mir schwer, das Alter zu bestimmen, aber diese Dame war mit Sicherheit über 40.
„Konichiwa!”, nutzte ich eines der wenigen Worte, die ich auf Japanisch wusste, um sie zu begrüßen.
“Bitte?!”, antwortete sie ein wenig irritiert
"Kooonichiwaaa”, versuchte ich es wieder mit einer anderen Betonung. Ab und zu kam es vor, wenn ich mich auf Deutsch unterhielt, dass ich wegen meiner Aussprache nicht verstanden wurde. Also durfte ich nicht von dieser Japanerin erwarten, dass sie meinen nett gemeinten Gruß mit einem stark belgischen Akzent verstand, oder vielleicht kam sie gar nicht aus dem Land der aufgehenden Sonne?“Japan?”, fragte ich sie.„Kein Japan-China!”, gab sie mit rauer Stimme als kurze Antwort zurück und fügte hinzu: “Alle hier China.
In Berlin war ich bereits daran gewöhnt, dass die Globalisierung von den verschiedenen Nationen ausgenutzt wurde, um sich einen eigenen Vorteil zu verschaffen: Bulgaren gaben sich als Türken aus, um Dönerbuden zu eröffnen. Albaner und Araber machten Italiener nach, um Pizza zu verkaufen. Ich hatte einen marokkanischen Freund, der sich als Latino bei den deutschen Mädchen vorstellte, um sie zu verführen, und hier waren die Chinesen daran, die japanische Sushi- Kultur zu präsentieren.
Das Restaurant bestand aus einem Raum, der die Fläche eines halben Tennisplatzes hatte. Es gab darin ungefähr 20 Tische verschiedener Größen mit weißen Decken. In der Mitte jedes Tisches lag eine große, schwarze Kochplatte. Ungefähr die Hälfte der Plätze war besetzt. Es gab ein paar Familien mit ihren Kindern, aber auch junge und ältere Paare und Einzelgänger, die das All you can eat Sushi-Angebot nutzen wollten.
„Auf dieser Platte werden die Gerichte zubereitet", verkündete stolz der Bulgare, der mich eingeladen hatte. Sein Name war Alex. Er kam aus der bulgarischen Provinz und war sehr stolz darauf, in Deutschland seine eigene Firma zu haben. Bevor er sich als Handwerker in Berlin selbstständig machte, war er jahrelang als Bademeister am Schwarzen Meer tätig. 
„Auf der Liste meiner Freundinnen nehmen die deutschen Mädels die ersten drei Plätze ein!“, erzählte er selbstbewusst."Deswegen bin ich hierher gezogen, um ihre Sprache zu lernen. Jetzt bin ich dabei, mein Unternehmen aufzubauen”, fügte er selbstsicher hinzu. Er hatte ein enges, weißes Hugo Boss T-Shirt an, das seine Muskeln zur Schau stellteund trug ein gutes, fröhliches Herz. 
„Claudia ist meine Nummer 1. Sie ist als Managerin bei Coca Cola tätig. Danach folgt Heike – eine  Wirschaftsprüferin bei KPMG, und die Bronze gehört voll und ganz Gudrun, die für Kreditvergabe bei der Deutschen Bank in Frankfurt am Main zuständig ist.“
Mir fiel ein, als Alex von seinen Eroberungen an den bulgarischen Stränden erzählte, dass er immer mit der beruflichen Position der Dame anfing.Die chinesische Kellnerin brachte uns Speisekarten, die wie dicke Bücher mit dunkelbraunem Umschlag aus Leder im A4-Format aussahen. Sie ging auch nicht weg, sondern blieb neben uns stehen. Ihr rundes Gesicht hatte etwas Strenges. In ihrer Ausstrahlung war eine gewisse Härte zu spüren. Ihr Körper war klein und kräftig und mit einer roten Hose und rotem Hemd bekleidet. Die Nationalfarben der Volksrepublik China: nur die Sterne fehlten.Insgesamt wirkte sie wie eine treue Nachfolgerin von Mao Zedong. Sie wartete darauf, dass wir Drinks bestellten, bevor wir uns auf das Essen stürzen durften. Alex nahm eine Cola Light und ich bestellte ein Glas Weißwein. Mit den Drinks brachte uns die Dame zwei kleine Teller und wir bekamen damit grünes Licht, am Sushi-Buffet teilzunehmen.Am langen Tisch, auf dem die Sushi-Sorten lagen, gab es schon viele Restaurantbesucher, die ihre Teller vollmachten. Die Atmosphäre hatte einen Wettbewerbscharakter. Jeder von den Gästen war bemüht, möglichst schnell seinen kleinen Teller mit Sushi vollzukriegen und baute deswegen kleine Pyramiden auf. Als ich und mein Freund uns das Angebot anschauten, drehte sich ein blonder junger Mann um, schaute uns mit Schreck in den Augen an und flüsterte mit sarkastischer Stimme seiner Freundin so laut zu, dass ich es hören konnte: „Die Sushi-Schlacht hat begonnen!"Es war aber lange nicht so dramatisch, als dass es als eine Schlacht hätte bezeichnet werden können. Es gab genug für alle. Wenn bestimmte Sushi-Sorten weg waren, kam eine lang gewachsene knochige Chinesin in der gleichen Uniform und füllte die Platten nach. Insgesamt gab es vier dieser uniformierten Frauen, die in der Gaststätte arbeiteten. Sie erschufen bei mir den Eindruck, dass sie neben dem Job als Kellnerinnen beim chinesischen Geheimdienst tätig waren. Das waren wahrhafte Ordnungshüterinnenvon deren mentaler und körperlicher Stärke ich mich in Kürze überzeugen konnte.
Die Japaner haben die Sushi-Gerichte entdeckt, um eine Art preiswertes Fast Food für die ausländischen Touristen anzubieten. Mit dem Export dieser Gerichte ins Ausland änderte sich ihr Marketingkonzept. Sie stellten nicht mehr billiges Fast Food, sondern exotische, gesunde und exklusive Nahrung dar. Ich hatte viel Hunger und leerte den ersten Teller schnell. Mich ärgerte ein wenig, dass es in den Sushi-Häppchen viel Reis und ganz wenig Fisch gab. So versuchte ich beim zweiten Teller, den Fisch vom Reis zu trennen und ihn aufzuessen. Alex aß alles auf und machte es langsamer. Irgendwo habe ich gelesen, dass man mindestens sieben Mal das Essen kauen muss, bevor man es in den Magen hinunterschluckt. Mit diesem Gericht schaffte ich es höchstens zwei bis dreimal. Die Teller waren wirklich klein und ich musste oft zum Buffet gehen, um meinen aufzufüllen. Nicht weit von unserem Tisch erblickte ich einen Stapel größerer Teller, die am Fensterbrett lagen und entschied mich sofort, meinen kleinen Teller an die Seite zu stellen und einen der großen Teller zu nehmen bevor ich meinen nächsten Angriff auf das Buffet startete.Ich stand auf, ging zum Tisch mit den Sushis und platzierte fünf davon auf dem großen Teller. Es sah viel eleganter und schöner aus, auf einem großen Teller mit viel Platz in Ruhe seine Sushi-Auswahl zu treffen. Auf dem Weg zurück kam die knochige Chinesin mit zügigem Gang auf mich zu und versuchte ohne Worte, den großen Teller aus meiner Hand wegzuziehen. Ich wollte aber den großen Teller nicht ohne Widerstand abgeben und hielt daran fest.
„Nicht für Gäste!!", sagte sie mir mit vorwurfsvoller, strenger Stimme.„Warum liegen diese Teller dann einfach so herum?", fragte ich zurück.
Alex mischte sich ein und klärte mich auf, dass die großen Teller nur für das Sushi-Buffet vom Koch und von den Kellnerinnen benutzt werden durften. So war ich gerade dabei, wieder einen kleinen Teller zu holen, als eine andere kräftige Chinesin zu mir mit meinem alten Teller in ihrer Hand kam.
„Ist das Ihr Teller?", fragte sie mit strenger Stimme. Ich fühlte mich so, als ob ich auf frischer Tat ertappt wurde. Ich brauchte Hilfe und schaute mich um. Alex saß vor seinem kleinen Teller und kicherte vor sich hin. Er kannte offensichtlich die Regel und genoss meine Konfrontation mit den uniformierten Damen. Bestimmt lautete eine der Regeln, dass man während der gesamten Zeit nur einen Teller benutzen durfte.„Ich bin hier zum ersten Mal als Gast in ihre angesehene Gaststätte gekommen. Die Teller gehören Ihnen. Ich benutze sie nur!", antwortete ich mit möglichst viel Respekt. Schließlich wollte ich mein Gesicht vor meinem Freund wahren.„Jedes Stück Reis, das Sie nicht aufgegessen haben, kostet bei uns 50 Cent extra!", sagte die Chinesin und schaute mich an, als ob ich extra gekommen war, um den Fisch aufzuessen und den Reis absichtlich liegen ließ. Das stimmte teilweise. Ich wollte nicht so schnell satt werden. Deswegen hatte ich das kleine Stück Fisch von vier Sushi-Häppchen entfernt und nur den Fisch gegessen. Andererseits war ich ein Gast und durfte mich nicht so behandeln lassen. Mein Freund kriegte das Gespräch mit.
„Vielleicht sollte ich die Reste der Miso-Suppe auch schnell aufessen und den Suppenteller ablecken, bevor die Rechnung kommt!", machte er sich lustig.„Vielleicht solltest Du Deinen Teller zufällig auf den Boden fallen lassen, um das Ausmaß Deiner Strafe zu erfahren?", schlug ich ihm ironisch vor.Ich merkte, dass sich die vier uniformierten Chinesinnen versammelt hatten und intensiv etwas besprachen.„Besser nicht mehr Öl ins Feuer gießen", dachte ich, nahm eine Serviette und in dem Moment, in dem die Chinesinnen nicht mehr zu unserem Tisch blickten, gab ich die Reisreste in eine weiße Serviette hinein und packte sie in meine Hosentasche. Die kräftige Chinesin, die uns empfangen hatte, kam auf uns zu.„Bitte zahlen und nicht mehr kommen!“, ordnete sie mit kompromissloser Stimme an.„Restaurantverbot!!!", fügte sie lauter hinzu.
Im Restaurant herrschte Stille. Die Blicke der Gäste richteten sich auf uns.„Wir sind hier Ihre Gäste und bestellten auch Getränke, die teuer sind!“, versuchte Alex, unsere Ehre zu verteidigen.
In diesem Moment erschien aus der Küche ein Herr, der mit seinem Vollbart und unberechenbarem Blick dem Gegenwartskünstler Ai Weiwei ähnelte. Seine Oberarme und Hals waren von Tattoos bedeckt. Er schaute uns schweigsam an und dehnte seinen Kopf nach rechts und links, als ob er sich auf einen Kung Fu Kampf vorbereiten würde.„Kein Problem! Wir gehen!“, sagte Alex und stand von seinem Stuhl auf.„Trinkgeld bekommen Sie das nächste Mal!“, fügte er so laut hinzu, damit alle Restaurantgäste es mitbekommen konnten. Er zahlte schnell. Wir packten unsere Sachen und gingen zügig auf die Straße hinaus.
„Veso, die Strafe für die Chinesinnen ist gerade angekommen!", hörte ich ihn sagen. Ich drehte mich um und sah, wie der Bus der Basketballmannschaft von ALBA Berlin vor dem Restaurant parkte. Eine große Gruppe junger, riesiger Kerle unterschiedlicher Hautfarben, in Begleitung von einem kleineren Team von Zwergen, das sich aus ihren Trainern und Ärzten zusammensetzte, stieg aus dem Bus heraus und ging ins Restaurant hinein.
Die Sushi-Schlacht stand kurz vor ihrem Anfang.

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Българка или бразилка?

Wie man an einem kurzen Telefonat erkennen kann, ob man sich in Deutschland oder in Bulgarien befindet

Die Komfortzone