Mein letzter Besuch im Prinzenbad

 

                            

                                Mein letzter Besuch im Prinzenbad

Das Prinzenbad war eines der Freibäder in Berlin-Kreuzberg, das für seine liberale Einstellung bekannt war. Es öffnete seine Türen früher als die anderen Bäder und bot seine schönen Schwimmanlagen und die grünen Flächen rundherum nicht nur für Menschen, die gerne schwimmen wollten, sondern auch für diejenigen, die das Leben in Berlin in seiner Vielfalt feiern wollten. Am Eingang standen neben der offiziellen Flagge der Berliner Bäder-Betriebe, auf der groß „WILLKOMMEN“ geschrieben war, auch die Regenbogenflaggen, die das Symbol der schwulen Bewegung darstellten.

Es war einer dieser Sommertage, an denen sich die Berliner Sonne gut hinter den grauen Wolken versteckte, aber ihre Wärme in der Luft spürbar war. 28°C ohne Sonnenschein. Die Hitze drückte auf mein Gemüt, und ich dachte, es wäre an der Zeit für meinen ersten Besuch im Prinzenbad. Es war bestimmt mehr als ein Jahr vergangen, seitdem ich das Bad besucht hatte, da ich den letzten Sommer nicht in Deutschland, sondern in Bulgarien verbracht hatte. Ich zog meine Schwimmhose zuhause an, nahm ein Badetuch und Badelatschen und ging zur U-Bahn. Als ich ankam, war es bereits 16 Uhr, und am Eingang waren keine Menschen außer der Männer der Security Firma zu sehen. Manchmal fragte ich mich, wie die Berliner Bäder die Aufträge an die Security-Firmen vergaben. Im Humboldthain war mir aufgefallen, dass die kräftigen, vollbärtigen, muskulösen, aber immer höflichen Jungs aus Tschetschenien kamen. Im Prinzenbad hatte ich das Gefühl, dass das Wachpersonal überwiegend arabischstämmig war. Der gesamte Bereich vor dem Eingang war durch rote Absperrleinen in Korridore unterteilt, damit die Besucher wussten, wo sie sich anstellen sollten. Am Ende dieser Korridore, auf zwei Hockern an hohen Tischen, saßen die Security-Jungs und strahlten eine gewisse Wichtigkeit aus. Es wirkte auf mich so, als wäre man vor einem angesagten Berliner Technoclub und nicht vor dem Eingang eines öffentlichen Freibads. Ich ging durch die markierten Wege, was sich wie die Wege vor der Sicherheitskontrolle am Flughafen anfühlte. Außer mir waren keine anderen Gäste zu sehen, und bald stand ich vor den beiden.

Guten Tag!“, eröffnete ich mit einem Lächeln das Gespräch.

Die Typen schauten mich schweigsam an. Sie waren kräftig, hatten kurze dunkle Haare und trugen hellblaue T-Shirts, auf denen großgeschrieben SECURITY.

Bis wann haben Sie heute auf?“, setzte ich meine Konversation fort.

Sieben!“, antwortete kurz der Jüngere. Er war Mitte 20. Sein Blick und seine Körperhaltung strahlten ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein und eine gewisse Gewaltbereitschaft aus, aber ich war ja zum Schwimmen gekommen und musste nur an ihnen vorbei.

Schön, dann habe ich genug Zeit zum Schwimmen!“, versuchte ich positiv zu bleiben.

Ticket?“, fragte er.

Ich habe die Urban Sport App – man kann damit hier sein Ticket einlösen, oder?“

Ja, Kasse! Aber zuerst Ausweis!“

Ich fand es unhöflich, wie er in imperativen Formen mit mir sprach, aber versuchte, es zu ignorieren. Eine Kundenorientierung und Freundlichkeit in öffentlichen Einrichtungen in Berlin zu erwarten, war nicht angemessen und brachte meistens Enttäuschung mit sich. Darüber hinaus behaupteten die Buddhisten, dass wenn man nicht vom Leben enttäuscht werden will, muß man keine Erwartungen haben.

Ich holte aus der Hülle meines Handys meinen Presseausweis. Er hatte ein Bild darauf, und ich habe ihn bei der Einlasskontrolle der Tschetschenen im Freibad Humboldthain oft zum Einsatz gebracht.

Nicht gültig!“, sagte der junge Wachmann. Ich schaute den anderen an. Er stand knappe 2 Meter von uns entfernt und konnte unser Gespräch gut hören. Er war um 15 Jahre älter und beobachtete die Szene, ohne ein Wort zu sagen. Mit Türstehern zu streiten, konnte nie etwas Gutes bringen. So versuchte ich, freundlich zu bleiben und wandte mich an den Älteren:

Das ist ein gültiger Presseausweis, auf dem auch mein Bild zu sehen ist. Damit kann ich normalerweise nicht nur hierher, sondern auch zu anderen öffentlichen Veranstaltungen gehen. Ich habe hier auch meine BVG-Abokarte. Auf der ist auch ein Foto von mir!“, sagte ich und holte die BVG-Karte heraus. Es war mir unangenehm, diesen Typen Erklärungen schuldig zu sein, aber ich wollte schwimmen und um diesen Wunsch zu realisieren, musste ich an ihnen vorbei.

Nur Persooo!“, erhöhte der Jüngere den Ton. Der andere rührte sich nicht. Auf seinem Gesicht war keine Emotion abzulesen.

Ich habe meinen Personalausweis auf meinem Handy gespeichert und könnte ihn gerne zeigen“, schlug ich vor. Irgendwie gefiel mir die Situation nicht. Ich schaute zu dem Älteren mit Hoffnung, dass er sich einmischen würde, aber er erwiderte meinen Blick nicht. Er hatte ein langes Gesicht mit einer auffälligen Narbe auf seiner rechten Wange. Wahrscheinlich eine Erinnerung an eine seiner zahlreichen körperlichen Auseinandersetzungen. An seinem Hals war das Tattoo einer Pistole zu sehen. Irgendwo hatte ich gelesen, dass gewaltbereite Personen oft Tattoos am Hals haben.

Nur Original, kein Handy!“, sagte der Junge und versperrte mir mit seiner Hand den Weg.

Sie möchten meine Identität prüfen, um sicher zu sein, dass, wenn es irgendwelche Probleme in der Schwimmanlage gibt, sie mich identifizieren können – stimmt es?“, versuchte ich eine logische Argumentationslinie aufzubauen.

Der Jüngere schaute mich bereits feindselig an. Ich merkte, dass er die Entscheidung getroffen hatte, mich nicht reinzulassen. Der andere schwieg daneben, aber seine muskulöse Präsenz war auch nicht zu ignorieren.

Darf ich mit jemandem aus der Schwimmbad-Verwaltung reden?! Das finde ich nicht richtig, was Sie hier machen! Schließlich sind BVG-Karte oder Presseausweis offizielle Dokumente, und um sie ausstellen zu lassen, musste ich meinen Perso vorlegen – ich möchte mich beschweren!“

Hier!“, sagte der Typ und reichte mir eine Visitenkarte, auf der Telefonnummer und E-Mail vom Kundenservice der Berliner Bäderbetriebe stand. Ich merkte, dass er eine Menge von diesen Visitenkarten hatte. Wahrscheinlich war ich nicht die einzige Person, die damit konfrontiert wurde.

Aber ins Freibad Humboldthain durfte ich mit diesen Dokumenten rein.“

Dann musst du zum Humboldthain gehen!“, bildete er zum ersten Mal einen vollständigen Satz.

Darf ich Ihren Namen wissen?“, fragte ich.

Aus Datenschutz nicht erlaubt!“, antwortete er und gab mir mit dem Kopf ein Zeichen, dass ich mich entfernen musste, damit er eine Familie überprüfen konnte. Als die Mutter mit den zwei Kids an ihm vorbeiging, schoss ich mit meinem Handy ein Bild von ihm und drehte mich um. Nach wenigen Schritten spürte ich, dass ich nicht weitergehen konnte. Zwei kräftige Hände pressten sich wie eiserne Klammern um meinen Körper und hinderten mich daran, sowohl weiterzulaufen als auch ruhig zu atmen.

Jetzt wird es interessanter!“, dachte ich. Meine Reflexe, geschult durch jahrelanges Training in östlichen Kampfkünsten, übernahmen die Kontrolle über die Situation. Mit meiner rechten Hand packte ich den Daumen der linken Hand des Angreifers und verdrehte ihn, bis er losließ. Mein Ellbogen schnellte nach unten und traf ihn hart im Solarplexus, während meine Faust mit solcher Wucht auf seine Nase einschlug, dass sie brach.

Brichst du deinem Gegner die Nase, ist der Kampf vorbei“, pflegte mein Trainer zu sagen, und er hatte recht. Der Kerl krümmte sich stöhnend, während der andere mit entschlossenem Gesichtsausdruck auf mich zukam und lallte:

Ich mach dich fertig!Ich mach dich jetzt fertig! Du Hurrensohn“

Warte-zuerst möchte ich dir meinen Perso zeigen!“, erwiderte ich.

Er hinkte leicht mit dem linken Bein, weshalb mein erster Tritt mit der Fußkante meines rechten Beins genau unter sein linkes Knie zielte. Er schrie vor Schmerz auf. Ich trat einen Schritt zurück und landete einen seitlichen Haken gegen seinen Kopf. Er fiel wie eine reife Birne vom Baum auf die Erde. Beide Gegner waren außer Gefecht, und ich entfernte mich mit erhobenem Haupt und unter dem Applaus der zwei zusehenden Kinder vom Boxring.

Zu viele Actionfilme geguckt, mein Freund“, flüsterte mir mein Ego zu

Vergiss nicht, dass diese Kerle den Straßenkampf beherrschen, und wenn du den Rest des Sommers nicht in einem Berliner Krankenhausbett verbringen willst, reiß dich zusammen und mach, was sie sagen“, schaltete sich schnell mein Verstand in die Diskussion ein.

Handy hier! Foto löschen! Polizei Anzeige!“, schrie der Jüngere außer sich und brachte mich in die Realität zurück.

Meine Herren, ich bin hier zum Schwimmen, nicht zum Ringen gekommen!“, antwortete ich, aber der Ältere zog mir mein Handy aus der Hand und befahl mit strenger Stimme:

Foto löschen! Sonst Polizeianzeige!!“

Ich fragte mich, was mir vorgeworfen werden konnte:

Leistungserschleichung, Versuch ohne gültigen Personalausweis in eine öffentliche Schwimmeinrichtung zu gelangen, grobe Verletzung der Datenschutzbestimmungen und geleisteten Widerstand bei der Einlasskontrolle der Berliner Bäderbetriebe“, sah ich imaginär in einem Brief vom Berliner Polizeipräsidenten stehen. Der Griff des Typen war stark. Sein Atem konnte ich in meinem Nacken auch gut wahrnehmen. Ich musste wirklich aufpassen, dass ich nicht eine auf meine kluge Fresse bekam.

Gut! Dann musst du mich loslassen“, willigte ich ein, entzog mich aus seinem Griff, nahm mein Handy zurück und öffnete die Fotos. Dann löschte ich vor seinen Augen das gemachte Bild.

Auch bei den gelöschten löschen!“, befahl der Jüngere.

Ich wusste bis zu diesem Augenblick nicht, dass es auch bei den Handys eine Art Papierkorb gab.

Wo ist das?“, fragte ich zurück.

Er nahm mein Handy und zeigte es mir mit einem Knopfdruck. „Hier Passwort angeben und Bild löschen, sonst Polizei!“

Wow!“, dachte ich. Man kann im Leben immer etwas dazulernen, machte gehörig, was er von mir verlangte. Die beiden Kids, die die Szene beobachteten, wurden von ihrer Mutter gerufen.

Mami, der Mann wollte ohne Ausweis ins Schwimmbad!“, hörte ich, wie der kleine Junge seinen Eltern erklärte.

Ich nickte und begab mich auf den Weg zur U-Bahn zurück.

Die Willkommensflagge der Berliner Bäderbetriebe bewegte sich stärker Richtung Humboldthain. Als ich dort ankam, fand gerade ein grosser Polizeieinsatz statt. Zahlreiche Zivil- und uniformierte Bullen waren überall zu sehen.

Was ist hier los?“, fragte ich die Dame an der Kasse.

„„Aus Datenschutzgründen kann ick Ihnen dat nich sagen!“ !“, anwortete die Berlinerin.

Besteht ein Risiko, wenn man schwimmen will?“, informierte ich mich vorsorglich.

Wenn et’n Risiko jegeben würde, hätt ick Ihnen keen Ticket verkauft! “, sagte die Dame.

Ich ging hinein und sprach einen älteren Bulgaren, der sich um die Toiletten kümmerte, darauf an.

Die Tschetchenen, die sich um die Security kümmeten, wurden wegen Schwarzarbeit verhaftet“, erklärte er mir.

So, so- sie waren deswegen so locker mit den Ausweisen“, überlegte ich mir.

Am Tag danach schrieb ich eine E-Mail an die Verwaltung und schilderte den Vorfall. In der Antwort erhielt ich eine höfliche Entschuldigung sowie das Versprechen, dass meine Beschwerde anonym an die Leitung der Sicherheitsfirma weitergeleitet würde. Das Wort "anonym" zeigte mir, dass auch die Leitung der Berliner Bäder genau wusste, dass man es mit diesen Security-Jungs besser nicht auf die leichte Schulter nimmt. Mit anderen Worten: Aus Datenschutzgründen konnte man in Deutschland einiges erleben und andere Erfahrungen verpassen.


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