Herzenswünsche zu Weihnachten

Bild von Milen Lichkov

 Herzenswünsche zu Weihnachten


Es war Weihnachtszeit. Ich sollte als Weihnachtsmann arbeiten. Das war kein Scherz, sondern ein ganz professionell von der studentischen Arbeitsvermittlung meiner Uni organisierter Job. Alle, die als Weihnachtsmänner arbeiten wollten, mussten an einer Schulung teilnehmen. Dabei lernten wir die „No Goes“. Zum Beispiel folgende Situation:


Wo kommst Du her, lieber Weihnachtsmann?“, fragt das Kind einen schwarzen Weihnachtsmann.
Aus Mosambik“, antwortet der.


Jeder von uns bekam eine Liste mit 16 Familien. Pro Familie hatten wir 20 bis 30 Minuten Zeit, um die Kinder zu beschenken. Wir durften keine Einladung zu Drinks annehmen, sonst wären wir am Ende betrunken und würden nicht authentisch als Weihnachtsmann rüberkommen. Wir mussten die Adressen im voraus besuchen, um zu sehen, wie weit sie voneinander entfernt waren. Wer ein Auto hatte, konnte auch einen Engel mitnehmen und das doppelte verdienen.

Ich mochte diesen Job. Einmal im Jahr durfte ich in Deutschland das Gefühl erleben, wichtig zu sein. Einmal im Jahr fühlte ich mich akzeptiert und bedingungslos geliebt. Das war der Tag, an dem ich das Weihnachtskostüm trug.


Ich wohnte damals in Wilmersdorf. Das war eines der bürgerlichsten Viertel im westlichen Teil von Berlin. Die Familien, die ich normalerweise besuchte, waren gut situiert und gaben ordentlich Trinkgeld. Ich hatte die Liste mit den Familien erhalten, habe die Adressen besucht, die Namen auf den Klingeln überprüft, danach musste ich mit den einzelnen Familien telefonieren. Dabei ging es in erster Linie um die Kinder: Was sie mögen, was sie nicht mögen. Wie heißt die Katze, der Hund, der Hamster, wie die besten Freunde im Kindergarten? Putzt das Kind seine Zähne? Das alles trug ich sorgfältig in das sogenannte Goldene Buch ein, aus dem ich bei den Familienbesuchen vorlas.
Normalerweise liefen die Telefonate nach dem gleichen Muster ab. Dieses Mal aber fragte die Frauenstimme am anderen Ende der Leitung:


Woher kommen Sie, lieber Weihnachtsmann?“
Der Weihnachtsmann kommt aus dem fernen Norden“, sagte ich, meine Standardantwort. Ich wollte nicht persönlich bei meinen Telefonaten werden. Schließlich ging es um einen Job, den ich professionell ausführen musste. Niemanden ging es etwas an, dass ich Bulgare war.
Weil ich nicht will, dass mir ein Neger im Haus aufkreuzt!“, überraschte mich die bis jetzt freundliche Frauenstimme.
Ich notierte in mein goldenes Buch „Mutter-Rassistin“ und versuchte am Telefon sachlich zu bleiben.


Die Kundin bemerkte meine Reserviertheit und fragte weiter:
Was wünschen Sie sich zu Weihnachten, lieber Weihnachtsmann?“
Ich merkte, sie wollte nett wirken, verfolgte aber weiter meine klare Linie, möglichst professionell zu antworten.
Der Weihnachtsmann hat alles und braucht nichts“, sagte ich.
Ach so! Aber ich habe einen Herzenswunsch!“ sagte die Frau, ohne dass ich gefragt hatte.
Ich wünsche mir ein schönes Auto!“
Da konnte ich mich nicht länger zurückhalten.
Wünschen Sie sich das Auto mit einem schwarzen Fahrer, Madam?“

Daraufhin stornierte sie den Auftrag.

Die Jungs von der studentischen Arbeitsvermittlung lachten herzlich, als ich ihnen davon erzählte. Als Entschädigung erhielt ich einen besser bezahlten Auftrag: Ich sollte als Weihnachtsmann in einem Kindergarten auftreten.

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