Der Zürcher Pavarotti



Der Zürcher Pavarotti

Es gab einen Mann in Zürich, der wie Luciano Pavarotti aussah und auch Opern sang. Der Unterschied zwischen ihm und dem verstorbenen italienischen Tenor bestand darin, dass dieser Mann immer nachts an öffentlichen Plätzen in Zürich sang. Zweitens sang er immer von seinem Auto aus. Drittens verlangte er dafür kein Geld. Es gab aber ein paar Ähnlichkeiten: Er hatte auch einen gepflegten, schwarzen Vollbart. Er trug auch meistens feine Hemden und Anzüge.
Der Zürcher Pavarotti fuhr einen neuen Mittelklassewagen. Ich hörte ihm oft zu und fragte mich, was diesen über 50 Jahre alten Herrn dazu brachte, nachts sein Operntalent zur Schau zu stellen. War das sein Wunsch nach Anerkennung? War das seine Einsamkeit oder hatte er einfach Lust zu singen und Menschen zu unterhalten? Oder war es vielleicht eine Mischung aus all diesen Gründen? Ich nahm mir vor, ihm nächstes Mal, wenn ich ihm zuhörte, ein Zeichen der Anerkennung zu geben und ihm dadurch Aufmerksamkeit zu schenken.
Es war eine Sommernacht am Bellevue. Er saß wie immer in seinem Auto und sang. Die Fenster waren heruntergekurbelt. Die Musik war laut. Seine Stimme klang überwältigend. Er sang etwas von Wagner, aber ich wusste nicht genau was. Ich wartete ab, bis er fertig war und klatschte laut Beifall. Er schaute mich ein wenig verdutzt an. Dann rief ich mit voller Stimme „Bravo!! Bravo!!“ und ging mit einem langsamen Schritt klatschend auf ihn zu. Eine Art standing ovations.  Als ich mich seinem Auto näherte und er sah, dass ich den Kontakt zu ihm suchte, kurbelte er die Fensterscheiben seines Autos gehetzt wieder nach oben und drückte so stark auf das Gaspedal, dass bei mir das Gefühl aufkam, ich hätte ihm Angst eingejagt.
„Oh, mein liebes Zürich – Hauptstadt der Einsamkeit!“, kam über meine Lippen, als ich ihm hinterherschaute.
„Kann mir jemand erklären, warum die Menschen hier so viel Angst voreinander haben?“, fragte ich, obwohl es rund um mich keine Menschen gab.
Der Züricher Wind streichelte mir durch die Haare und gab mir seine Antwort:

Rich men making money-
Women walking with shopping bags
But the pain in their faces is showing:
In the city of the living death
Nothing seems to be perfect!”

P.S. Als ich  meinen Freunden in Zürich diese Geschichte erzählte, sagte einer von ihnen , dass er von diesem Mann bereits gehört hätte. Der Zürcher Pavarotti sollte nach seinen Worten den Beruf als Chrirurg im Kinderspital der Stadt ausüben. Vor langen und schwierigen operativen Angriffen sowie danach würde er Oper singen, um mit sich und mit der Welt rund um sich ins Gleichgewicht zu kommen. 

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