Zur Formel 1 in Monte Carlo
Zur Formel 1 in Monte Carlo
von Veso Portarsky
Der Formel-1-Grand-Prix in Monte Carlo war in vollem Gange. Die Straßen der Stadt wurden nicht mehr von Autos befahren, sondern von Kunstwerken auf Rädern, die bei jedem Schaltvorgang klangen, als würde der Teufel persönlich in der Kupplung sitzen.Ich war mit meinem Freund Luca dort – gebürtiger Italiener, in Berlin DJ und Womanizer, in Monte Carlo offiziell „Tourist“. Wir standen in der Nähe des Hafens – eingekesselt von Menschen, Motorenlärm und Sicherheitszäunen, hinter denen sich die Welt der Reichen bewegte: Film- und Fussballstars, Models und Milliardäre. Alles Schöne dieser Welt schien an diesem Tag zum VIP-Paddock-Club zu gehören. Wir nicht. Der Himmel war tiefblau, die Sonne brannte auf uns herab. Es war klar: Wir mussten bald einen besseren Ort für uns finden.
„Ich glaube, da oben auf der Dachterrasse kann man auch einen guten Blick auf das Rennen haben“, sagte Luca und zeigte auf ein nobles Gebäude direkt an der Strecke. Er trug ein abgeknöpftes, weißes Leinenhemd, das großzügig seine glatt rasierte Brust und den Ansatz eines Tattoos freilegte. Seine Figur war schlank, fast sehnig, mit der lässigen Eleganz eines Mannes, der sich seiner Wirkung bewusst ist. Er hatte eine markante Adlernase, schmale Wangen und kleine, smaragdgrüne Augen, die unter dichten Brauen hervorblitzten – wach, unruhig, leicht überheblich. Seine Lippen waren schmal, die Haut gebräunt, als käme er geradewegs von seinem Boot. Alles an ihm wirkte wie eine Mischung aus südländischer Lässigkeit und der überdrehten Selbstinszenierung eines Lebenskünstlers, der nie irgendwo richtig und gleichzeitig überall dazugehörte.
.
„Aber da ist überall Security“, entgegnete ich.
„Wir haben eine Akkreditierung“
„Wie
meinst du das?“
„Hier!“,
sagte er, griff in seine Brieftasche und zog seine Krankenkassenkarte
daraus.
„Meinst du, die Techniker Krankenkasse Karte wird als Akkreditierung dienen?“
„Klar
– es
geht hier um den Fortschritt der Technik und wir
sind auch
technisch
versichert und
vergiss nicht, Veso, dass die Glatzen an der Tür zwar dunkle Anzüge
tragen, aber höchstens nur die Grundschule abgeschlossen
haben!“
Gesagt,
getan.
Mit einem selbstsicheren Lächeln und der Entschlossenheit von Leuten, die aussehen, als würden sie erwartet, hielten wir dem Türsteher unsere Krankenkassenkarten hin. Er warf einen Blick darauf, runzelte kurz die Stirn und ließ uns durch. Das Foyer hatte einen Marmorboden und riesige Spiegel in vergoldeten Rahmen schmückten seine Wände.
Der Aufzug brachte uns hinauf zu einer Welt, in der Champagner wie Leitungswasser floss und feine Häppchen auf Silberplatten vorbeischwebten. Es war ein riesiger Raum mit glänzendem Parkettboden. An den Wänden hingen großformatige Werke zeitgenössischer Kunst mit prächtigen Farben. Es roch nach Geld, Sonnencreme und gebratenem Thunfisch-Tatar.
Der Empfang wurde vom CEO von easyJet eröffnet. Leider verstand niemand ein Wort – nicht wegen des Inhalts, sondern weil alle Anwesenden sich wegen des infernalischen Formel-1-Lärms Ohrstäbchen in die Ohren gestopft hatten. Also taten wir das auch.
Nach einem dritten Glas Champagner kam eine Hostess auf uns zu und reichte uns Lachs mit Goldflocken. Sie trug einen weißen Minirock und ein enges T-Shirt, das an ihrer Haut klebte wie Seidenpapier. Es zeichnete ihre vollen Brüste ab, als wolle der Stoff selbst nicht mehr zwischen ihr und der Welt vermitteln. Ihre Beine waren endlos, glatt, gebräunt, mit diesem makellosen Glanz, den man nur von Werbeplakaten kennt. Das dunkle, kurz geschnittene Haar betonte ihre hohen Wangenknochen. Die großen rehbraunen Augen blickten mit dieser Mischung aus professioneller Freundlichkeit und einem Anflug von Gleichgültigkeit.
„Danke, aber haben Sie auch was mit Mozzarella?“, fragte Luca.
„Ich
schaue gleich nach“, sagte sie, und ihre Stimme fühlte sich an wie
warmer, süßer Kakao – weich und sehr
nah.
„Und
wenn Sie auf die Gästeliste einer meiner DJ-Auftritte auf Ibiza oder
Berlin gesetzt werden möchten, bräuchte ich Ihre Telefonnummer!“,
fügte er hinzu – halb scherzhaft, halb im Ernst, mit diesem
Lächeln, das bei ihm fast immer funktionierte.
Sie antwortete nicht, aber als sie kurz darauf mit einem Teller Burrata und Trüffelöl zurückkam, ließ sie beiläufig einen winzigen Zettel neben Lucas Glas gleiten – kaum größer als ein Kaugummipapier, gefaltet, so unauffällig, dass es niemand außer ihm bemerkte.
Ein paar Minuten später saßen wir im Schatten, aßen Mozzarella mit Goldrand, und Luca grinste, als hätte er gerade seinen persönlichen Sieg beim Formel 1 Rennen errungen.
Wir
blieben eine Weile – lang genug, um einige
Gläser zu trinken, uns satt zu essen und einige
Selfies mit dem Rücken zur Rennstrecke zu machen. Im
Raum gab
es außer uns viele
andere
Menschen.
Männer in weißen Anzügen und Frauen in schimmernden, bodenlangen
Kleidern bewegten sich wie schwerelose Figuren durch die Kulisse.
Ein
normales
Gespräch
war nicht möglich, da der Lärm von dem Rennen zu stark war.
Die
Sonne ging langsam unter und wir beschlossen, noch einen Abstecher
ins berühmte Casino von Monte Carlo zu wagen. Wir hatten im Voraus
ein Budget festgelegt, um nicht wie der Spieler im gleichnamigen
Roman von Fjodor Dostojewski zu enden: 20 Euro. Gemeinsam.
Der Eingang zum Casino wirkte wie die Schwelle zu einer anderen Parallelwelt: marmorne Säulen, vergoldete Reliefs, schwere Türen aus dunklem Holz und dahinter eine Stille, die nach dem Lärm der Formel 1 kostbar klang. Am Portal stand ein Türsteher, der weniger wie ein Security-Mann und mehr wie ein Denkmal wirkte – über zwei Meter groß, in ein makelloses schwarzes Jackett geschnürt, mit fleischlosem Gesicht und regungsloser Miene. Seine Augen hinter getönten Gläsern scannten uns mit einer Mischung aus Gleichgültigkeit und höflich unterdrücktem Zweifel.
An der Rezeption begrüßte uns ein älterer Herr im Frack, dessen Haltung eine steife Noblesse verströmte. Sein Blick – diskret, aber eindeutig – ließ durchblicken, dass wir vermutlich keine saudischen Erben oder russischen Oligarchensöhne waren. Trotzdem durften wir rein, ohne unsere TK Karten vorzuzeigen.
Der Casino-Saal war ein barockes Konstrukt aus Spiegeln, Kronleuchtern und leise gleitenden Kellnern in weißen Handschuhen. Die Teppiche waren so dick, dass man das eigene Scheitern kaum hörte. Am Roulettetisch hielten wir uns genau zwei Runden. Unsere Jeton-Batterie verdampfte schneller als der Schaum auf unserem Gratis-Prosecco.
„Kein
Happy End“,
sagte ich zu Luca.
„Warte! Komm
mit! Game
over ist noch nicht angezeigt!“,
antwortete er und zog mich aus dem Casino, quer über den Vorplatz,
bis wir vor einem halbmondförmigen Springbrunnen zum Stehen kamen.
Der
Mond schaute uns mit seinem runden Gesicht mit einer Prise Neugierde
an.
Das Wasser plätscherte leise, fast verschwörerisch, als hätte es
selbst ein Interesse daran, unser
Vorhaben zu erfahren.
„Schau mal rein“, sagte er.
Ich beugte mich skeptisch vor. Münzen im Brunnen – das war für mich bisher immer Kinderkram gewesen. Wunschdenken und Taschengeldromantik. Aber was ich sah, verschlug mir kurz den Atem:
Keine braunen Kupferlinge, kein rostiges Wechselgeld. Nur leuchtende silberne 2-Euro-Münzen und dicke, glänzende 5-Schweizer-Franken-Stücke. Ein stilles Miniatur-Vermögen glitzerte unter der Wasseroberfläche. Dieser Brunnen war kein Ort für Wünsche. Er war ein diskreter Notgroschen der Reichen – ein Ort, an dem selbst das Wegwerfen Wert hatte.
„Du
denkst, was ich denke?“ fragte Luca.
„Klar. Dass das
Schicksal manchmal hilft – aber nur denen, die bereit sind, sich
die Hosen nass zu machen.“
Wir sahen uns kurz an und schauten uns um. Es war menschenleer. Dann zogen wir zügig Schuhe und Socken aus, krempelten die Hosenbeine hoch und wateten ins Becken. Luca zuerst, mit der Sebtsverständlichkeit einer Person, die das schon einmal getan haben könnte. Ich folgte, mit einem leicht mulmigen Gefühl und kaltem Wasser bis zu den Waden.
Unauffällig, aber zielgerichtet, fischten wir die Münzen vom Grund. Luca war schnell, fast routiniert. Seine Arme glitten durchs Wasser wie beim Fischen im Aquarium. Ich tat auch mein Bestes. In weniger als 10 Minuten hatten wir neues Kapital – deutlich mehr als wir davor ausgegeben hatten.
Zurück im Casino marschierten wir wie Gentlemen – mit leicht feuchten Hosen, aber erhobenem Haupt und Taschen voller Silbermünzen. Diesmal setzten wir uns zu einem Tisch, an dem ein russischer Oligarch in Begleitung von zwei jungen Frauen saß. Goldene Haare, glitzernde Abendkleider und aufgeblasene Lippen gaben dem kleinen untersetzten Mann das Gefühl, wichtig und geliebt zu sein, solange er Geld hatte. Wir blieben cool, testeten mehrmals unser Glück und verloren wieder alles.
Aber wir lachten. Nicht, weil wir gewonnen hätten – sondern weil wir wussten, dass es nicht darum ging. Es ging darum, für einen Abend so zu tun, als gehörten wir dazu. Als wären wir Teil dieser Welt aus Glanz, Champagner und goldflockigem Lachs. Und dabei so viel Spaß zu haben, wie es nur Außenseiter können.
Mit leicht feuchten Hosen, leeren Taschen und Herzen voller Freude stiegen wir in den Bus zurück nach Nizza. Das Ticket kostete 1,50. Die Betten in unserer stickigen Jugendherberge – zwölf Leute im Zimmer, schnarchende Australier inklusive – waren 24,50 Euro wert. Der Abend aber war unbezahlbar.
Kommentare
Kommentar veröffentlichen