Vladimir Kaminer

                                        Vladimir Kaminer



Die Musik war laut und fröhlich. Überall waren tanzende Menschen zu sehen. Wodka und Bier flossen im Überfluss. Ich ging zum D.J.-Pult und sagte auf Russisch:

„Du machst eine tolle Party! Danke! Ich freue mich, Dich kennenzulernen! "

Der D.J. war ein hübscher Mann. Er hatte kurze, lockige Haare und ausdrucksstarke Augen. Ihre Farbe war wegen des gedämpften Lichts nicht genau zu erkennen. Etwas zwischen grün und grau. Er war mit Sicherheit ein bunter Vogel. Er bedankte sich und fragte, woher ich kam.

"Bulgarien", antwortete ich.

Normalerweise liebte die Russen Bulgarien. Nicht nur die christlich-orthodoxe Religion und die kyrillische Schrift war die Basis der langjährigen Freundschaft zwischen den beiden slawischen Völkern. In der Zeit der Sowjetunion waren die beiden Länder sich so nah, dass Bulgarien inoffiziell als 16. Republik der Sowjetunion galt. Der Russe fand das aber nicht besonders interessant und damit war unser Gespräch beendet.

So traf ich Vladimir Kaminer zum ersten Mal während seiner Party „Russendisko". Er veranstaltete das einmal pro Monat im Club „Café Burger“ in Berlin, Prenzlauer Berg. Er machte es nicht allein, sondern mit seinem Partner aus der Ukraine, Yuriy Gurzhy.

Die „Russendisko" war eine schöne Abwechslung im grauen Berliner Winter und ich ging als Student auf diese Party so oft ich konnte. Dann war mein Studium vorbei. Ich bekam einen Job und musste zuerst nach Offenburg und danach nach Moskau – in die Geburtsstadt von Kaminer. Dort fing ich mit dem Schreiben an und hörte zum ersten Mal von seinem Erfolg als Schriftsteller. Ich erfuhr das aus den deutschen Medien. In Moskau kannte man ihn damals nicht. Die russischen Klassiker hatten die Messlatte in Russland zu hoch gesetzt, um Platz für heitere Kurzgeschichten eines russischen Migranten in Deutschland zuzulassen.

Als ich nach Berlin zurückkam, ging ich zu einer seiner Lesungen im Café Burger.

Er saß vorne und las mit seinem russischen Akzent aus seinem Buch. Im gleichen Raum, in dem er die Menschen durch fröhliche russische Musik zum Tanzen brachte, versuchte er jetzt mit von ihm geschriebenen Worten, den deutschen Alltag mit Humor und Leichtigkeit zu sehen und seine Zuhörer mit Freude aufzuladen. Der Saal war zum Platzen voll. Ein alter Mann aus der ersten Reihe ergriff immer wieder das Wort und unterbrach die Lesung. Ich hätte mich an Stelle von Kaminer gestört gefühlt. Wahrscheinlich hätte ich gehofft, dass jemand den Mann beruhigt und ihn in die frische Luft hinausführt. Kaminer zeigte aber seine Klasse. Er stand irgendwann auf, ging zum Alten und umarmte ihn kräftig. Er verstand, dass das, was dieser Mensch wirklich brauchte, Liebe und Aufmerksamkeit war.

Als ich zum zweiten Mal zu seiner Lesung ging, fiel mir auf, dass seine Frau am Eingang immer die Kasse machte. Sie war klein und füllig, hatte kurze schwarze Haare und ein rundes Gesicht. Ich hatte in Moskau eine Frauengeschichte geschrieben. Ich nannte sie „Die Moskauer Prinzessinnen". Ich gab sie seiner Frau mit der Bitte, sie an Kaminer weiterzuleiten. Sie nahm die Blätter behutsam entgegen und versprach, dass sie das machen würde.  

Später hat sein D.J.-Partner Jury eine Berliner Band gegründet und eine Freundin von mir aus Bulgarien als Front-Sängerin berufen. So fragte ich sie, ob sie für mich den Kontakt zu Kaminer herstellen konnte. Sie meinte, dass sie mit ihm gesprochen und ihm meine Email gegeben hätte und er sich bei mir melden würde, aber das passierte nicht.

„Warum machte ich das?", frage ich mich jetzt.

Vielleicht erwartete ich eine Art Ermutigung seitens des etablierten, russischen Autors oder einen Kontakt zu seinem Agenten oder Verlagshaus. Aus seiner Erfahrung wollte ich lernen, wie ich am besten mit dem Schreiben und seiner Vermarktung im deutschen Lande vorgehen sollte, aber ich hörte nie von ihm. Wahrscheinlich war er so sehr mit seinen Texten, Projekten und seiner Familie beschäftigt, dass er kaum Zeit finden konnte, auf solche Anfragen zu reagieren, geschweige denn als Motivator für aufstrebende Schriftsteller zu agieren.

Monate später erzählte mir ein bulgarischer Freund, der mit einer Frau aus Südtirol zusammen war, dass Kaminer bei ihm zu Hause zu Besuch war.

„Kanntest Du ihn vorher?", fragte ich ihn.

"Nein, er ist ganz gut mit einer Freundin meiner Frau befreundet?", antwortete er.

„Und wie wirkte er auf Dich?"

„Ich denke, er hat etwas gegen Bulgaren?"

„Wieso das?"

"Nachher soll er seine Freundin gefragt haben, wieso meine Frau sich ausgerechnet einen Bulgaren als Mann ausgesucht hatte."

„Ha ha – eine berechtige Frage!", scherzte ich mit ihm.

Die Bezeichnung „bulgarischer Kaminer" kam zum ersten Mal von einer Lektorin, die bei einem großen, deutschen Verlag tätig war. Zuerst empfand ich es nicht als Kompliment. Schließlich wollte ich einzigartig sein und wenn schon mit Autoren wie Hemingway oder Henry Miller verglichen werden. Mein Ego war größer als mein Schatten. Danach überlegte ich, dass der russischstämmige Autor es zu einem großen Erfolg in Deutschland gebracht hat. Er gehörte zu den wenigen Schriftstellern, die nicht im deutschen Lande aufgewachsen waren und Bücher mit geistreichen Kurzgeschichten millionenfach verkaufen konnten. So nahm ich den Vergleich dankbar an. Zu dieser Zeit suchte ich einen Literaturagenten und entschied mich, es beim Agenten von Kaminer zu versuchen. Die höfliche Absage kam schnell per Email an. Seine Agentin war offensichtlich mit dem Vergleich nicht einverstanden.

„Fake it till you make it“, zitierte meine englische Freundin ein britisches Sprichwort. Ich wusste, dass man auf die Ratschläge seiner Freundin hören sollte und überlegte sorgfältig, was ich imitieren konnte. Ich holte mir das Buch „Russendisco“, mit dem er seinen Durchbruch in Deutschland schaffte und las es schnell durch.

In vielen der Geschichten tauchten tatsächlich Bulgaren auf: als Zauberer, die in Hollywood-Filmen neben ihm als Statisten tätig waren, als Geschäftsfrauen, die mit ihm eine vom Job- Center finanzierte Umschulung mitmachten, als Türken getarnte Döner-Verkäufer. In einer seiner Geschichten schrieb er sogar, dass die Bulgaren überall in Deutschland präsent wären, nur machten sie die Deutschen so gut nach, dass man sie nicht wiedererkennen konnte.  

Ich konnte mir vorstellen, was für ein Gesicht er machen würde, wenn er meine Kurzgeschichten mit der Bezeichnung „Der bulgarische Kaminer" in Berliner Magazinen las. Ich überlegte, wie ich darauf reagieren würde, wenn ich darauf angesprochen würde.

Mir fiel eine Geschichte ein, die ich in Bulgarien gehört hatte:

Vor dem Eingang der Metropolitan Staatsoper unterhielten sich zwei russische Juden.

„Wer ist der Dirigent heute?“, fragte der eine.

„Barenboim!“, antwortete der andere.

„Wer ist am Klavier?“

„Rosenthal.“

„Wer ist die erste Geige?“, frage der Ältere weiter.

„Guggenheim.“

„Wer spielt die zweite Geige?“

„Petrov!“

„Wer ist denn Petrov?!“

„Ein Bulgare“, bekam er als Antwort.

„Ach, diese Bulgaren sind überall!“, schloss der Alte das Gespräch ab.

Also kein Wunder, dass Kaminer die Bulgaren nicht so richtig leiden konnte.





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