Die Zigeuner wissen meistens Bescheid

Die Zigeuner wissen meistens Bescheid

Das Wetter war so heiß, dass man denken konnte, nicht in Berlin, sondern in Sofia zu sein. Fast 40 C im Schatten und das Anfang Juni. Ich fuhr mit meinem Fahrrad zu einem Freibad in Wedding und wollte mir davor noch eine Flasche Mineralwasser kaufen. Ich ging in eine türkische Bäckerei und nahm gleich noch einen kleinen Snack mit. Vor der Bäckerei gab es ein paar Holztische mit weißen Plastikstühlen. Ich wählte einen Stuhl im Schatten aus, setzte mich hin, öffnete die Flasche Wasser und trank. Es fühlte sich sehr erfrischend an. Irgendwo las ich einmal, dass man täglich so viel Wasser zu sich nehmen sollte, dass es 3,3% des Körpergewichts ausmachte. Also angenommen ich würde 100kg wiegen, müsste ich täglich 3,3l Wasser trinken. Ich wog aber nur 88kg. Also würden 3l reichen. Solche Kalkulationen beschäftigten meinen erhitzten Kopf, als ich jemanden auf Bulgarisch reden hörte. Ich drehte mich in die Richtung aus der die Stimme kam. Zwei Tische von mir entfernt saß eine junge Frau und sprach laut am Telefon. Ihre Stimme klang rau. Ihre Worte drangen zu mir durch.
„Du denkst, ich weiß nicht, dass du dich heimlich mit dieser verdammten Hure triffst? Du denkst, ich weiß es nicht? Du verdammter Hurensohn! Ein Schlappschwanz bist du! Ein Nichts! Du denkst, ich kapiere nichts?! Ha ha! So dumm wie du bist. Ich weiß alles. Ich weiß, dass du dich mit dieser Hure heimlich triffst. Ich weiß, dass Du fremdgehst. Ein Hurensohn! Ein Stück Scheiße bist du!“
Die Frau war unter 30 und sah sexy aus. Sie trug ein enges Blumenkleid und knallrote Schuhe mit hohen Absätzen. Auf ihrem Rücken war ein Drachen-Tattoo zu sehen. Sie hatte ihre Haare blond gefärbt. Sie schimpfte noch 10 Minuten am Telefon mit ihrem Freund. Dann drehte sie sich um. Ihr Gesicht war stark geschminkt. Ihr intensives Parfüm war auch aus 3 Metern Entfernung gut wahrnehmbar.  Sie war eine Zigeunerin. Als sie mit dem Telefonat fertig war, trank sie ihr Glas Cola in einem Zug aus, stand auf und machte sich auf dem Weg.
Als sie an mir vorbeiging, knallte die Musik ihrer Absätze in meinen Ohren und der Duft ihres Parfüms wurde unerträglich. Eine Mischung aus süß und salzig, die ich nicht richtig zuordnen und nur mit Mühe ertragen konnte. Als sie an meinem Tisch vorbeiging und noch etwa einen Meter von mir entfernt war, grüßte ich sie bereits freundlich auf Bulgarisch. Sie blieb stehen, drehte sich um und sagte überrascht:
„Ach so, Du sprichst Bulgarisch...“
Sie hatte eine große Nase und die Wut spiegelte sich noch immer in ihren dunklen Augen. Am Hals trug sie eine goldene Kette mit einem Kreuz. Sie überlegte sich kurz, dass ich ihr ganzes Telefongespräch hören und verstehen konnte und fügte lässig hinzu:
„Eben hatte sich einer verwählt und mich angerufen – ein Missverständnis.“
Dann drehte sich wieder um, ging weiter und wackelte übertrieben mit ihrem Hintern.
„Die Zigeuner wussten Bescheid, wie sie sich aus allen Situationen herausreden konnten“, dachte ich. Ich beobachtete, wie sie sich entfernte und genoss mein kühles Wasser.

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