Der Job als Finder

Der Job als Finder

Nach meinem Umzug ins Zentrum von Berlin musste ich mich mit einer neuen Situation auseinandersetzen. Ich wohnte in einer Straße, in der viele Geschäfte waren und viele Touristen Geschenke kauften. Wie in den meisten großen Metropolen gab es neben den vielen Touristen auch viele Taschendiebe. So fand ich an einem sonnigen Tag gleich neben meiner Eingangstür gestapelte Kreditkarten sowie Führerschein und Ausweis von einem Koreaner. Ich rief bei einem Freund an und erzählte ihm davon.

„Soll ich dich zu einem Massagesalon einladen und damit zahlen oder sie bei der Polizei abgeben?“, machte ich mich darüber lustig.
„Du kannst sie zurückgeben, mich aber trotzdem davor einladen.“, scherzte er zurück.

Ich entschied mich dafür, sofort zur Polizei zu gehen und sie zurückzugeben.
Der Koreaner hatte bestimmt Panik bekommen und würde sich freuen, seine Dokumente zurück zu erhalten.
Die Woche darauf fand ich wieder neben meiner Eingangstür eine Brieftasche. Dieses Mal war auf dem Ausweis ein Bild einer Frau Mitte 30 aus Stuttgart zu sehen. Ich ging wieder zur Polizei.

„Sie kommen ja jede Woche. Als Berufsbezeichnung werden wir bei Ihnen ab sofort „Finder“ eintragen“, scherzte eine junge Polizistin mit mir.
„Deutschland ist ein Land, in dem Menschen meistens ehrlich sind“, antwortete ich. Ich fühlte mich geehrt, dass sie sich an mich erinnerte. Dann überlegte ich kurz, wie ich es am besten formulieren konnte, um nicht unhöflich zu sein, und sagte:
„Für jede Kleinigkeit gibt es hier eine Regelung. Gibt es nicht für die Finder einen Finderlohn, der auch festgelegt ist?“
„Doch, Menschen wie Sie haben sogar einen Anspruch darauf“, sagte sie. Dann bückte sich vor einem Regal und nahm ein Formular heraus, nahm meinen Personalausweis und fing an zu schreiben. Die Polizistin war klein, aber gut gebaut. Ihre Haare waren ganz kurz und blond. An ihrem rechten Arm hatte sie einen Tattoo. Eine Art Dreieck, das auf mich maskulin wirkte. Vielleicht musste eine Frau in so einem Beruf ihre männliche Seite zeigen. Vielleicht war sie eine Lesbe. Vielleicht beides. In Berlin gab es eine Menge davon.
„Wir kreuzen hier an, dass Sie Anspruch auf Finderlohn erheben wollen.“
„Super“, dachte ich, als ich auf dem Weg nach Hause war.  Es war ein gutes Gefühl, etwas Gutes getan zu haben und dafür noch belohnt zu werden. Hätte ich es schon vorher gewusst, wäre ich auch für meinen ersten Fund von dem Koreaner belohnt worden. Man musste immer nach seinen Rechten fragen.
Am nächsten Tag flog ich mit meiner Freundin in den Urlaub. Nachmittags sah ich auf meinem Handy, dass ich einen Anruf von der Polizei verpasst hatte und dachte zufrieden:
„Die deutsche Polizei ist sehr effizient. Bald kommt Cash in meine Tasche.“
Ich rechnete mit mindestens 150 Euro. Schließlich waren viele Bank- und Kreditkarten sowie Führerschein und Personalausweis unter den von mir gefundenen Dokumenten. Ihr Wert war bestimmt viel höher. Als wir aus dem Urlaub zurück waren und ich keine Benachrichtigung in meinem Postfach gefunden hatte, ging ich wieder zur Polizeiwache.
„Wieder etwas gefunden?“, begrüßte mich die gleiche Polizistin.
„Nein, dieses Mal komme ich, um meine Belohnung abzuholen“, antwortete ich mit einem breiten Lächeln.
„Eine Belohnung?“
Der Raum war nicht größer als 20qm und hatte kein Fenster. Neonlichter sorgten für eine kalte Beleuchtung. Darin saß noch ein Polizist mit wenig Haaren auf dem Kopf. Er drehte sich in meine Richtung um, als ich das Wort „Belohnung“ aussprach. Das war ein älterer Herr, der bestimmt viel erlebt hatte. Bestimmt dachte er, dass ich gekommen war, um mein verdientes Honorar abzuholen. Das war auch meine Absicht. Ich musste nur die passenden Worte finden.
„Naja, letztes Mal, als ich hier war, habe ich zusammen mit Ihnen dieses Blatt ausgefüllt und mein Recht auf Finderlohn geltend gemacht. Vor zwei Tagen wurde ich von der Polizeiwache angerufen. Ich war im Ausland und konnte nicht telefonieren, aber ich denke, es ging um meine Belohnung...“, erklärte ich in einem Atemzug und reichte ihr meinen Personalausweis.
„Könnten Sie in Ihrem Computersystem nachschauen?“, fügte ich hinzu.
„Das geht bei uns so nicht“, entgegnete die Polizistin. In ihrer Stimme erkannte ich eine Prise Strenge, die ich bis jetzt nicht bemerkt hatte.
„Wie geht es denn?“
„Naja, wenn die Wertsachen abgeholt werden und Sie dafür belohnt werden müssen, reichen wir alles an das Fundbüro weiter und von dort werden Sie schriftlich benachrichtigt.“
„Also bekomme ich doch keinen Finderlohn?“, fragte ich enttäuscht.
„Nein, Sie müssen sich schon noch ein bisschen gedulden.“, antwortete sie.
Ich war dabei zugehen. Dann überlegte ich doch die Möglichkeit zu nutzen, um sie zu fragen:
„Können Sie mir sagen, wie der Finderlohn berechnet wird? Ist es eine Art Provision?“
"Klar, es sind 3% vom Betrag, den Sie gefunden haben.“
„Das ist wie beim Immobilienverkauf“, scherzte ich und fragte weiter:
„Und wie wird der Wert von Kreditkarten, Führerschein oder Personalausweis berechnet? Man weiß ja nicht, was auf den Bankkonten dort zu finden ist.“
„Berechnet wird nur das bare Geld – andere Dokumente zählen nicht.“
„Aber dann bekomme ich gar nichts“, sagte ich sichtlich enttäuscht.
„Naja, der Job als Finder ist ein ehrenamtlicher Job. Man darf nichts dafür erwarten“, verabschiedete mich die Polizistin mit einem Schmunzeln im Gesicht.

Später erzählte ich meiner Freundin vom Geschehen. Sie rechnete schnell, wie es halt nur Frauen machen konnten:
„Also, wenn ich 100 Euro finden und bei der Polizei abgeben würde, würde ich dafür 3 Euro Finderlohn bekommen. Bei einem Betrag von 1000 Euro würde ich 30 Euro bekommen. Also für mich steht es fest“, sagte sie mit einem Lächeln.
„Wenn ich einen Koffer mit 10.000 Euro Scheinen finden würde, würde ich ihn abgeben. Ich würde mich über die gute Tat und 300 Euro Cash freuen.“
„Das stimmt, mein Schatz“, antwortete ich, näherte mich ihr und flüsterte ihr ins Ohr:
„Wenn Du die 10.000 Euro-Tasche finden und bei mir abgeben würdest, würdest du dich nicht nur über eine gute Tat, sondern auch über einen viel besseren Finderlohn freuen können.“
Sie lachte gelassen, da sie meine bulgarische Denkweise kannte.

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