Als Weihnachtsmann im Krankenhaus



Als Weihnachtsmann im Krankenhaus

Ich hatte einen ganz speziellen Auftrag. Ich musste am Heiligen Abend als Weihnachtsmann die Geschenke an 350 Kinder verteilen, die krank waren und im größten Berliner Krankenhaus Weihnachten verbringen mussten.
Dieser Auftrag machte mich besonders stolz. Zuerst war das ein Beweis, dass ich einen guten Job als Weihnachtsmann machte und deswegen das Vertrauen genoss, solche Aufträge zu erhalten. Darüber hinaus war es schön zu wissen, Freude in 350 Kinderherzen hineinbringen zu können. 
 
Es war der 24. Dezember. Es war kalt, aber sonnig in Berlin. Ich ging mit einem lässigen Schritt ins Krankenhaus hinein. Es war leer. Ich hatte meinen Weihnachtsmannanzug, den Bart, eine weiße Perücke und das Goldene Buch in meinen Geschenkesack gepackt und musste eine Toilette finden, in der ich mich in aller Ruhe umziehen konnte. Ein alter Mann begrüßte mich im Foyer mit den Worten:

„Guten Tag, Herr Doktor!“

Ich grüßte ihn mit einem Lächeln zurück. Ich fühlte mich geschmeichelt und wichtig. Ich wurde sogar für einen Doktor gehalten. Selten im Leben hatte ich bislang dieses Gefühl, am richtigen Ort zur richtigen Zeit zu sein. Selten im Leben hatte ich das Gefühl, etwas so Sinnvolles machen zu dürfen. Ich fand eine Invalidentoilette, machte das Licht an und ging hinein. Ich schloss die Tür hinter mir ab und fing an, mich in aller Ruhe umzuziehen. Ich hatte mehr Zeit dafür eingeplant, damit ich nichts überstürzen musste. Der Bart und die weiße Perücke mussten richtig sitzen. Der Mantel auch. Ich war fast fertig, als jemand heftig an die Klotür klopfte.

„Ein Moment bitte!“ sagte ich und dachte mir, was für ein Gesicht dieser Mann machen würde, wenn er sähe, dass der Weihnachtsmann höchstpersönlich aus dem Klo herausginge.

Das Klopfen wurde deutlich stärker.

„Eine Minute noch!“
„Icke piiiiisseeee mir gleich in die Hoooosen!“ hörte ich den Mann schreien.

Ich beeilte mich. Als ich die Tür als ganz ordentlich angezogener Weihnachtsmann aufmachte und auf die Reaktion des Mannes wartete, rannte er an mir vorbei, als ob der Teufel hinter ihm her wäre. Er merkte nicht mal, dass der Weihnachtsmann ihn freundlich grüßte. Auch wenn der liebe Gott höchstpersönlich vor ihm gestanden hätte, hätte ihn das genauso wenig beeindruckt.

Noch einmal wurde mir gegenwärtig, dass jegliche Verkleidung und alle gesellschaftlichen Rollen auf der Welt nichts wert waren, wenn die Naturbedürfnisse nicht befriedigt waren.

War es der Abraham Maslow, der die Erklärung für das Menschenverhalten als eine Art Bedürfnispyramide konstruiert hat? Die Basis der Pyramide waren die Naturbedürfnisse, wie Essen, Trinken, Schlafen und Sex. An der Spitze der Pyramide stand die Selbstverwirklichung.

Hatte er dabei den Stuhlgang vergessen?

Ich schmunzelte und machte mich auf dem Weg zu den Kindern.

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