The jellow blanket- eine Fallstudie über die Integration in Deutschland


The jellow blanket- eine Fallstudie über die Integration in Deutschland


Meine Nichte war 15 Jahre alt, als sie zusammen mit der ganzen Familie von Sofia  nach Düsseldorf umzog. Meine Schwester hatte davor einen Job in Deutschland gefunden. Sie überlegte mit ihrem Mann nicht lange, bevor die beiden die Entscheidung trafen, ein neues Leben anzufangen. Schließlich bot Deutschland eine bessere berufliche Zukunft und eine bessere gesundheitliche Versorgung für ihre Kinder gleichzeitig.

Meine Nichte heißt Nadeschda. Sie ist ein hübsches Mädchen mit blonden Haaren und blauen Augen, das zu den Besten in ihrer Schule in Bulgarien zählte und in ihrer Freizeit mit einer Hip Hop-Tanzgruppe aktiv viele Wettbewerbe innerhalb und außerhalb des Landes gewonnen hatte. Manchmal war es ein Problem für die Familie, dass sie sich so sehr unter Druck setzte, immer ausgezeichnete Noten nach Hause zu bringen und weinen musste, wenn das nicht der Fall war. Als sie erfuhr, dass sie mit ihren Eltern am Ende des Sommers nach Deutschland umziehen würde, verbrachte sie die Monate davor, um Deutschkurse zu besuchen und sich darauf vorzubereiten.
Ihre Mutter hatte davor mit der Schulleitung im Düsseldorfer Gymnasium geredet und es wurde ihr zugesagt, dass das Mädchen das erste Jahr damit verbringen würde, fleißig Deutsch zu lernen, damit sie im Jahr danach richtig in das Schulsystem einsteigen konnte. Dazu sollte sie noch Englisch- und Sportunterricht haben.

Die Realität war anders. Als sie ankam, wurde ihr vom Schulleiter mitgeteilt, dass sie ganz normal alle Fächer mit anderen Kindern in der 9. Klasse besuchen würde und wenn sie innerhalb eines Monats nicht befriedigende Leistungen bringen würde, würde er sie in die 8.Klasse zurückversetzen. 

„Verrückt! Ein Monat Zeit, um in der 9. Klasse in Deutschland anzukommen“, dachte ich mir. Bei mir hatten 5 Jahre am deutschen Gymnasium in Sofia gerade ausgereicht, um ein Studium in Berlin aufzunehmen.

Nadeschda gab aber ihr Bestes. Sie war täglich bis 16 Uhr in der Schule. Bis spät in die Nacht lernte sie für den nächsten Tag. Trotzdem verstand sie wenig vom Fachdeutsch und der Terminologie in Biologie, Geschichte, Politik oder Physik – Fächer, die sie besuchen musste. 

„Onkel!“, erzählte sie mir.

„Stell Dir vor: ich musste einen Vortrag in Politik halten. Ich habe es zusammen mit meiner Mutter vorbereitet und einige Male vor dem Spiegel zu Hause geübt. Das war der erste Vortrag, den ich auf Deutsch in meinem Gymnasium in Düsseldorf  halten musste und ich wollte nicht, dass etwas schiefging.“

„Wie war es?“, fragte ich zurück. Ich kannte dieses Gefühl von meinen Lesungen, dass ich einige Male davor zu Hause meine Geschichten laut vorlas, damit ich sie fließend vortragen konnte. Nadeschda war im Unterschied zu mir nicht seit 20 Jahren, sondern nicht mal seit einem Monat in Deutschland, sie war erst 14 Jahre alt und nicht wie ich über 40.  Ich bewunderte ihren Mut.

„Onkel! Es war soooo peinlich…“, fing sie an.
„Warum peinlich?“
„Ich wurde von den anderen Kindern meiner Klasse ausgelacht…“
„Wieso das?“
„ Ich konnte wahrscheinlich bestimmte Worte nicht richtig aussprechen... .“
„Wie hat Dein Lehrer darauf reagiert?“, fragte ich mit der Hoffnung, dass er sich einmischte und den anderen Kindern zu verstehen gab, was für eine mutige Leistung meine Nichte zu Stande brachte.
„Mein Lehrer ist gleichzeitig mein Schulleiter. Er schwieg die ganze Zeit.“
„Dein Lehrer ist nicht nur Dein Schulleiter, sondern auch ein Arschloch!“, sagte ich.
„Es hätte noch gefehlt, dass er mit den Anderen gelacht hätte…“
„Onkel, ein Mädchen aus Albanien, das zum dritten Mal die 9. Klasse wiederholt, sagte zu mir, dass ich mir nichts daraus machen sollte. Sie sagte, dass der einzige Unterschied zwischen uns und den Anderen hier nur die Sprache wäre!“
„Hat Dein Schulleiter wirklich gar nichts in der Situation gemacht?“, fragte ich. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass er so passiv bleiben konnte.
 „Ach, Onkel…Von ihm kann ich gar keine Unterstützung erwarten…Er unterrichtet uns Politikwissenschaften und hat mir gestern eine Frage gestellt, die ich nicht verstand. Ich bat ihn, mir die Frage auf  Englisch zu übersetzen und weißt du, was er vor der ganzen Klasse gemacht hat?“
„Was?“
„Er wiederholte seine Frage dieses Mal langsamer und lauter auf Deutsch!“
„Kennst du die Geschichte vom ,jellow blanket´?“, fragte ich sie. Ich wollte sie irgendwie aufmuntern.
„Ein Ami, der aus Texas kam und zum ersten Mal in seinem Leben ein anderes Land bereiste, ging in ein Warenhaus in Berlin und wollte sich eine gelbe Decke kaufen.“
„Could you give me the jellow blanket please?”, fragte er die deutsche Verkäuferin.
„Wie bitte?”, antwortete sie, da sie kein Englisch konnte.
„The jellooooow blaaaanket!“, wiederholte der Ami lauter.
„Ich verstehe Sie nicht! Können Sie bitte noch einmal sagen, was Sie wollen?“
„Theeeee jellooooooooow blaaaaaaaaaaaaaaaaaaankeeeet“, wiederholte er langsam und mit Betonung in seinen Worten.
„Es tut mir leid, aber ich kann Sie nicht verstehen...“, sagte die Verkäuferin.

Daraufhin schrie der Ami mit voller Stimme außer sich:

„THEEEE JELLOOOOW BLAAAAAAANKEEEEEEEEET!

Die Verkäuferin schenkte ihm keine Aufmerksamkeit mehr.

Ich schaute meine Nichte an. Sie lächelte nicht.




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