Mister Schielmann



Mister Schielmann

Der Abend fing nicht vielversprechend an. Es war die Eröffnung der größten Jeansmesse der Welt „Bread and Butter“. Ich hatte zwei Einladungen. Eine hübsche, bekannte, vietnamesische Malerin war meine Begleitung.

Nun hatte es angefangen zu regnen. Es wehte ein starker Wind und ein Gewitter zog über Berlin auf. Gerade kamen wir am Flughafen Tempelhof an, als die Feier wegen Feuerwehrbestimmungen abgesagt wurde. Die Vietnamesin war enttäuscht und verabschiedete sich von mir. Vielleicht war das meine einzige Chance gewesen, mit ihr auszugehen. Ich fühlte mich traurig. Dann kam der Anruf eines Freundes.

     „Was machst du, Alter?!“
     „Ich trauere um eine Vietnamesin.“
     „Ist sie gestorben?“
     „Nein, ich wollte seit langem mit ihr ausgehen und zum ersten Mal willigte sie ein. Dann wurde die Eröffnungsfeier am Flughafen Tempelhof wegen des Gewitters abgesagt. Jetzt ist sie weg und vielleicht war das meine einzige Chance.“
     „Alter, vergeude keine Zeit mit Trauern! Das Leben ist zu kurz dafür! Es ist Fashion Week und viele Schönheiten aus der ganzen Welt sind in town! Komm´ schnell zum Brandenburger Tor. Ein Magazin organisiert im Mercedes-Benz-Zelt eine große Feier und ich bringe Dich hinein“
     Du bist mein Retter!“, sagte ich und machte mich auf den Weg.

Ich musste lange auf den Bus warten. Als ich am Brandenburger Tor ankam, sah ich, wie die Leute aus dem Zelt herauskamen. Ich konnte meinen Freund nicht telefonisch erreichen. Ich hörte einen Security Mann sagen, dass auch diese Feier wegen der Feuerwehr-bestimmungen abgesagt wurde.

„Heute ist nicht mein Tag“, dachte ich.  Meine Klamotten waren nass. Der Wind war kalt und gab mir das Gefühl, dass ich mich erkälten würde. Darüber hinaus musste ich dringend pinkeln.
Ich schaute mich um. Es war dunkel. Es gab zwei Optionen:
Ich konnte in den naheliegenden Park Tiergarten gehen, mir einen schönen Baum aussuchen oder in einem der luxuriösesten Fünf-Sterne-Hotels Berlins, dem Adlon Kempinski auf eine noble Toilette gehen und ein wenig Luxus beim Pinkeln genießen. Ich entschied mich für den Luxus. 

Zwei Luxusveranstaltungen hatte ich wegen dieses Wetters verpassen müssen. Nun wollte ich mir eine Pinkelpause in einer luxuriösen Umgebung als eine kleine Kompensation gönnen. Mit solchen Gedanken lief ich mit sicherem Schritt auf den roten Teppich am Eingang des Adlons zu, als mich ein riesiger, schwarzer Mann mit einem roten Mantel und einem schwarzen Hut an der Tür mit der Frage konfrontierte:

     Excuse me, Sir! Are you a guest of the hotel?”

Das war das Allerletzte, was mir an diesem Abend passieren konnte. Ich habe nicht damit gerechnet, dass ich von einem Türsteher des Hotels angehalten werden konnte. Meine Ausstrahlung und Äußeres schienen wirklich nicht besonders einladend zu sein, wenn ich diesem Mann Rede und Antwort stehen musste. Ich konnte die Wahrheit sagen und dann wäre mir der Zutritt zu den noblen Klos mit Sicherheit verwehrt worden oder ich konnte mir etwas ausdenken. Ich entschied mich für die zweite Option.

     No Sir, but I have an appointment with a guest”, war meine Antwort.

     Es gab hunderte Menschen, die in diesem Haus übernachteten. Warum sollte ich nicht mit einem von ihnen verabredet sein?!

     May I know his name, Sir?”

     Offensichtlich erschien dem Türsteher nicht glaubwürdig.

     Ich wollte mich aber nicht so schnell geschlagen geben.
.
     Excuse me?!“, antwortete ich sichtlich verärgert. Ich antwortete wie einer, der sich in seiner Freizeit mit Freunden und Verwandten in hochkarätigen Hotellobbys traf und nicht daran gewöhnt war, solche Fragen gestellt zu bekommen. Eigentlich durften die Türsteher der Fünf-Sterne-Hütten nicht solche Fragen stellen. Das konnte von den verwöhnten und oft ego- und machtgetriebenen Gästen als eine grobe Frechheit interpretiert werden.

     I am the head of the security and for me it is important to know the name of the guest”, sagte der Schwarze souverän und versperrte mir mit seinem großen Körper den Weg ins Hotel.
    
     Mr. Schielmann“, antwortete ich kurz und leise. Der Name fiel mir gerade ein.

     Davor war mir aufgefallen dass In Deutschland viele namhafte Persönlichkeiten die Endung „mann“ in ihren Familiennamen trugen: Dusmann Rossmann, Goldmann, Bertelsmann, Deichmann oder Kleidermann. Es gab so viele Nachnamen mit dieser Endung, die im öffentlichen Leben ein hohes Ansehen genossen. Warum nicht auch Schielmann? Das wirkte.

     „Please, Sir!“, machte der Security Chef mir den Weg frei, öffnete mir sogar einladend die Tür und ließ mich hinein.

Ich ging ruhig durch das schöne Foyer. Fein angezogene Herrschaften genossen ihren Cognac oder Champagner in Begleitung hübscher Damen. An den Wänden hingen Bilder, die mich an die großen Maler des Mittelalters erinnerten. Ich lief langsam in Richtung der Toiletten und pinkelte in aller Ruhe in der luxurösen Umgebung von riesigen Spiegeln an glänzenden Marmorwänden. Dann wusch ich mir langsam die Hände mit einer nach Wildkirschen duftenden Seife trocknete sie mit drei kleinen, weißen, Handtüchern ab, cremte sie aufmerksam mit einem Olivenbalsam ein und ging nach draußen.

Im Foyer wurde mir klar, dass der Schwarze spätestens jetzt erfahren würde, dass ich ihn angelogen hatte und in Wirklichkeit keinen Termin mit einem Hotelgast hatte. Ich stellte mir seinen Blick voller Empörung und Sarkasmus vor. Ein Blick, der ohne Worte sagen würde, dass ich nicht mehr in dieses Hotel kommen durfte.

Ich schaute mir diese reichen Menschen, die im Foyer herumsaßen, genau an. Einige waren jung. Andere waren alt. Es gab schöne und hässliche Frauen und Männer. Der Unterscheid zwischen mir und ihnen war ein Haufen von Geldscheinen, die sie auf einem Bankkonto hatten und die es ihnen erlaubten, in solchen Hotels zu übernachten. Plötzlich wurde mir gegenwärtig, dass ich mir selbst die Opferrolle ausgesucht hatte und dass ich auch jede andere Rolle auf dieser Welt in diesem Moment spielen konnte. Ich kannte niemanden und niemand kannte mich.

Ich konnte steinreich oder bettelarm sein. Ich konnte der Neffe vom Hotelbesitzer oder der Geliebte der Putzfrau sein. Oder beides gleichzeitig. Oder viel mehr. Oder viel weniger. Ich konnte alles und nichts sein. Ich war alles und nichts. Das Leben war ein Spiel und ich hatte eine Idee. Ich lief auf den Security Chef zu. Er stand wie vorher vor dem Eingang, ohne sich zu bewegen. Ich kam von hinten und legte vorsichtig, aber mit Druck meine Hand auf seine rechte Schulter. Er drehte sich um. Ich sah in seinen Augen Verwirrung. Er runzelte seine Stirn.

     Sir!“, sagte ich mit einem strengen Ton und schaute ihm in die Augen, ohne zu zwinkern.
    
     Mr. Schielmann wants to talk to you immediately!”

     Ich betonte immediately und ließ die Worte auf ihn wirken. Er zog seine Augenbrauen hoch und schaute mich an. Ich war jetzt in der Position des Stärkeren. Ich war in der Lage, einen Befehl zu erteilen. Ich sah ihn streng an, erhöhte meine Stimme um einiges, um ihr noch einen autoritäreren Charakter zu verleihen und sagte in Imperativform:

     „Please follow me!”

Der Chef der Security gehorchte wie ein Soldat. Ich sah in seinem Gesichtsausdruck, dass es ihm bange wurde. Die VIP-Gäste solcher Hotels hatten Riesenegos und legten großen Wert auf Diskretion. Der Schwarze könnte viele Probleme bekommen, wenn Mr. Schielmann tatsächlich existieren würde. Ich drehte mich um und ging mit entschlossenem Gang durch die Tür zurück ins Foyer. Er folgte mir mit angespanntem Körper und gesenktem Kopf. Wahrscheinlich überlegte er, wie er sich entschuldigen oder wie er sich am besten aus der Affäre ziehen sollte. Nachdem wir 3-4 Meter zusammen gegangen waren, drehte ich mich noch einmal zu ihm um, klopfte ihm freundlich auf die Schultern und sagte mit einem Lächeln:

„It was just a joke!”

Ich sah wie ein Seufzer der Erleichterung über seine Lippen kam.

„Take it easy! Just a joke”, wiederholte ich.

Sein Gesichtsausdruck und seine Körperhaltung verrieten, dass ein schweres Gewicht von seinen Schultern abfiel. Er nickte dreimal schnell mit dem Kopf, als ob er verarbeiten musste, was gerade passierte. Ich lächelte ihn noch einmal an, bevor ich ging.

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